Was der Kanzlerkandidat der CDU gerade im Bundestag in seiner Rede gefordert hat, dürfte bei Umsetzung in die Geschichte als der Beginn eines heissen Dritten Weltkriegs eingehen. «Die Ukraine», so der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende von Blackrock, kämpfe gegen Putin «mit einer Hand auf dem Rücken». «Das geht so nicht weiter», sagt der CDU-Mann im Kampfmodus. Höre Putin «nicht innerhalb von 24 Stunden» auf, die «Zivilbevölkerung in der Ukraine zu bombardieren», dann müssten «aus der Bundesrepublik Deutschland auch Taurus-Marschflugkörper geliefert werden, um die Nachschubwege zu zerstören, die dieses Regime nutzt».

Mit anderen Worten: Merz knüpft an Aussagen seines Parteikollegen Roderich Kiesewetter an. Dieser sagte Anfang des Jahres: «Der Krieg muss nach Russland getragen werden. Russische Militäreinrichtungen und Hauptquartiere müssen zerstört werden. Wir müssen alles tun, dass die Ukraine in die Lage versetzt wird, nicht nur Ölraffinerien in Russland zu zerstören, sondern Ministerien, Kommandoposten, Gefechtsstände.»

Während Kiesewetter aber noch als Politiker in den hinteren Reihen verstanden werden kann, steht Merz in seiner Position als Kanzlerkandidat ganz vorne auf der politischen Bühne Deutschlands. Merz’ Positionierung zeigt: Die deutsche Demuts- und Friedenspolitik, die Willy Brandt in seinem legendären Kniefall der ganzen Welt vor Augen führte, wird gerade zerschlagen, als ginge es um den Abriss einer Bretterbude.

Die Weltöffentlichkeit wird Zeuge einer neuen deutschen Politik gegenüber Russland, die in ihrer historischen Asozialität ihresgleichen sucht. Dass sich nach dem Zweiten Weltkrieg jemals deutsche Politiker erdreisten würden, Russland mit deutschen Raketen zu drohen, zeigt, wie hoch der Grad der politischen Irrlichterei und Verkommenheit mittlerweile ist.

Deutsche Soldaten haben im Zweiten Weltkrieg ein unfassbares Blutbad in der Sowjetunion angerichtet. Millionen von Russen fielen der Gewalt der Wehrmacht zum Opfer. Unabhängig davon, was Russland tut, und so sehr der Krieg in der Ukraine zu verurteilen ist: Deutschland hat in Anbetracht seiner Vergangenheit nicht einmal im Ansatz das Recht, Russland Kriegsgewalt anzudrohen.

Selbst wenn die historische Verpflichtung gegenüber den Ukrainern im Raum steht, auf deren Staatsgebiet die Wehrmacht genauso gemeuchelt hat: Hier ist salomonische Weisheit gefragt! Und keine Politik der Grossmäuligkeit.

Wie kann die deutsche Politik auf der einen Seite sich auf ihre historische Verpflichtung berufen und auf der anderen Seite so tun, als wüsste sie nicht, was eine historische Verpflichtung ist?

Marcus Klöckner ist Journalist und Autor. Demnächst erscheint von ihm: «Kriegstüchtig! Mobilmachung an der Heimatfront».