Sie ist eine der schönsten Stimmen dieser Welt: die russische Sopranistin Anna Netrebko. Entsprechend wurde sie gefeiert und verehrt, auch in der Schweiz.

Doch nun dies: Von einem Konzert im Kultur- und Kongresszentrum Luzern (KKL) wurde sie ausgeladen. Sie ist vom Superstar zu Persona non grata geworden.

Der Grund: eine angebliche «Nähe» zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin.

Was den Fall noch dramatischer macht: Die Ausladung erfolgte auf Druck der Behörden, auf Druck des Regierungsrats und des Stadtrats von Luzern.

Damit wird aus der Posse ein handfestes Stück Politik.

Halten wir fest:

  1. In der Schweiz des Jahres 2024 entscheidet offenbar die politische Obrigkeit über erlaubte und unerlaubte Kulturveranstaltungen, über erlaubte und nicht erlaubte Stimmen.
  2. In der Schweiz des Jahres 2024 entscheiden kolportierte Ansichten oder auch nur eine kolportiere Kontaktschuld darüber, ob jemand seiner beruflichen Tätigkeit und seinen vertraglichen Verpflichtungen nachkommen darf. Man nennt das «Brotkorbterror».
  3. In der Schweiz des Jahres 2024 ist das Verständnis für den Sinn und Zweck der jahrhundertealten Staatsmaxime der Neutralität offenbar derart am Ranzen, dass sich Behörden nicht zu schade sind, jegliche neutralitätspolitische Zurückhaltung abzulegen und die neutrale Grundhaltung gar in Gesinnungspolitik zu verkehren – und dies erst noch in einem Fall, der durch die Prominenz der Betroffenen maximale internationale Resonanz verspricht.

Anzufügen wäre noch, dass dies nicht das erste Beispiel einer politisch bedingten Abstrafung, eines Musterbeispiels von Cancel-Culture am KKL ist. Ich wollte dort im letzten Herbst ein Konzert des türkischen Pianisten Fazil Say hören – und musste dann feststellen, dass er ebenfalls kurzfristig am Auftritt gehindert worden war. Damals stand der Veranstalter Migros dahinter.

Zum Verhängnis wurde Say ein Retweet des türkischen Präsidenten Erdogan zu Gaza.

Ironie der Geschichte: Im Programmheft, das nicht so kurzfristig umgedruckt oder eingestampft werden konnte, wurde Say noch für sein «politisches Engagement» gefeiert.

Man lerne: Was die modernen Gesinnungswächter des 21. Jahrhunderts gestern lobten, daraus drehen sie dir heute einen Strick.

Der Schluss kann daher nur lauten: Schluss mit Cancel-Culture, Schluss mit Brotkorbterror und Gesinnungswillkür, Schluss mit der Zerstörung der Neutralität!