Sie schwiegen lange, die deutschen Intellektuellen. Viel zu lang.

Nicht wenige stimmten sogar in das Kriegsgeheul, das Säbelrasseln und die fiebrige Entrüstung ein, die das Denken ausschaltet und seit Wochen die öffentliche Debatte über den Ukraine-Krieg beherrscht.

Zaghaft und nahezu unbemerkt meldeten sich letzte Woche die Schriftstellerin Daniela Dahn und der Liedermacher Konstantin Wecker zu Wort. Der Ruf verhallte fast ungelesen, allenfalls gehässig kommentiert von der frei rotierenden Fraktion der Bellizisten.

Doch nun, neun Wochen nach Kriegsbeginn, scheinen zumindest ein paar namhafte Autoren, Publizisten und Künstler aus der Schockstarre erwacht: In einem offenen Brief, veröffentlicht auf der Homepage der Zeitschrift Emma, richten sie einen eindringlichen Appell an den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz, von weiteren Waffenlieferungen in die Ukraine abzusehen.

Die Unterzeichner des Briefes betonen, dass Putin mit dem Angriff auf die Ukraine das Völkerrecht gebrochen habe, und «es eine prinzipielle politisch-moralische Pflicht gibt, vor aggressiver Gewalt nicht ohne Gegenwehr zurückzuweichen».

Dies dürfe in dem vorliegenden Fall jedoch nicht dazu führen, die «Eskalation dieses Krieges zu einem atomaren Konflikt in Kauf zu nehmen». Die Lieferung einer grossen Menge schwerer Waffen könne «Deutschland selbst zur Kriegspartei machen. Und ein russischer Gegenschlag könnte so dann den Beistandsfall nach dem Nato-Vertrag und damit die unmittelbare Gefahr eines Weltkriegs auslösen».

Zudem gelte es zu bedenken, dass auch der berechtigtste Widertand irgendwann in einem unerträglichen Missverhältnis zum Leid der Zivilbevölkerung stehe.

Vor allem warnen die Autoren vor einem doppelten Irrtum: zum einen, «dass die Verantwortung für die Gefahr einer Eskalation zum atomaren Konflikt allein den ursprünglichen Aggressor angehe», und zum anderen, dass die Verantwortung für weitere Menschenleben ausschliesslich bei der ukrainischen Regierung liege.

Zu den 28 Erstunterzeichnern des Appells gehören die Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer, der Autor Alexander Kluge, der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel, die ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Antje Vollmer, der Sänger Reinhard Mey, die Kabarettisten Gerhard Polt und Dieter Nuhr sowie die Schriftstellerin Juli Zeh.

Die 3 Top-Kommentare zu "Autoren, Publizisten und Künstler erwachen: In einem offenen Brief richten sie einen eindringlichen Appell an Kanzler Olaf Scholz, von weiteren Waffenlieferungen abzusehen"
  • freipilot

    Wann gibt es die erste grosse Friedensdemo gegen ständige Waffenlieferungen und dadurch wachsende Atomkriegsgefahr? Ich bin dabei!

  • reto ursch

    ZDF Teletext Umfrage Apr.29 / schwere Waffen liefern? Ja 56% / steigt dadurch die Gefahr? Ja 59% / Bleibt der Krieg auf die Ukraine beschränkt? Nein 54% / Dies erinnert an Joseph Goebbels „wollt ihr den totalen Krieg“ und die deutschen Idioten schreien wieder „JA“

  • onckel fritz

    Glauben Sie, dass die Ukraine zusammen mit den NATO-Truppen in Europa Russland besiegen kann? Wären wir nicht einfach nur Kanonenfutter für die USA?