Präsident Joe Biden hat seinem Amtskollegen Selenskyj vorgeworfen, dass er die US-Warnungen vor einem bevorstehenden Einmarsch Russlands in die Ukraine «nicht hören wollte». Viele Leute hätten damals gedacht, «ich würde übertreiben», sagte Biden an einer Wohltätigkeits-Veranstaltung in Los Angeles. Aber er habe gewusst, «dass wir Informationen hatten, die diese Einschätzung stützten», so Biden.

In der Tat: Mehrere Wochen bevor Putin am 24. Februar seinen Truppen den Einmarschbefehl gab, hatte Biden Alarm geschlagen. Und wahr ist auch, dass Selenskyj Warnungen vor einer bevorstehenden Invasion noch im Januar als «Panikmache» in den Wind schlug.

Die politische Führung der Ukraine bewegte sich damals allerdings auf einem schmalen Grat. Sie musste sich auf die Gefahr einer russischen Aggression vorbereiten, andererseits wollte sie aber auch Informationen und Gerüchte über eine Invasion herunterspielen, um die Lage nicht zusätzlich anzuheizen.

Und in einem weiteren zentralen Punkt irrt Biden: Nicht nur Selenskyj hatte die Absichten des russischen Präsidenten falsch eingeschätzt. Auch in Berlin und Paris hatten vor dem Beginn der «militärischen Spezialoperation» Russlands Regierungskreise und hochrangige Militärs die US-Einschätzung einer Invasionsgefahr in Frage gestellt. Sehr zu Unrecht, wie sich bald herausstellen sollte.