Die Öffentlichkeit erfuhr den Untergang der Grossbank Credit Suisse nicht als grossen Krach, sondern als wortreich abgefederte Pressekonferenz am Sonntag, 19. März, an der Bundespräsident Alain Berset, Bundesrätin Karin Keller-Sutter und Nationalbank-Präsident Thomas Jordan ihr Projekt vorstellten. Die UBS soll die Credit Suisse (CS) übernehmen. «Es ist eben keine Staatslösung. Wir haben eine private Bank, die eine andere Bank kauft», beteuerte Finanzministerin Keller-Sutter.

Diese Darstellung als private Übernahme ist grob irreführend, die ganze Aktion ist praktisch in jeder Hinsicht das Gegenteil von «privat». Mit massiver Staatsgewalt, unter Einsatz von Notrecht, wurden die zwei Konzernführungen zu einer Transaktion gebracht, die wie ein Kauf aussehen soll. Gegenkräfte wie Aktionäre oder Wettbewerbsaufsicht wurden staatlich blockiert, Botox, erst nach sechs Monaten kann das Parlament Stellung zur Aktion nehmen und diese allenfalls ins Gesetz überführen.

Versteckte Probleme

Das Ergebnis ist, dass die traditionsreiche Credit Suisse nach 167 Jahren Geschäftstätigkeit und zahllosen Pionierleistungen beim Aufbau der Schweizer Wirtschaft behördlich angeordnet untergeht. Es war der Sonntag, an dem die CS-Aktionäre praktisch enteignet wurden. Der Übernahmepreis wurde sehr niedrig bei 3 Milliarden Franken angesetzt, weniger als bei der Hälfte des vorherigen Börsen-Schlusskurses: Für 22,48 CS-Aktien gibt es eine UBS-Aktie. Die CS-Geschäfte fallen nun an die UBS, die als einzige verbliebene Grossbank der Schweiz jetzt noch riesiger wird und die eingehandelten Doppelspurigkeiten bei Arbeitsplätzen, technischen Anlagen und im Filialnetz jetzt zu bereinigen sowie die Bilanzvergrösserung zu bewältigen hat.

Für die UBS, die unter der Führung von Verwaltungsratspräsident Colm Kelleher und CEO Ralph Hamers bleibt, könnte sich die staatlich erwirkte Übernahme der Credit Suisse als Deal des Jahrhunderts erweisen, falls es den Bankgesellen gelingt, die Credit Suisse säuberlich zu zerlegen und die risikoreichen und ertragsschwachen Unternehmensteile abzustossen oder zu liquidieren. Dass die UBS den Übernahmepreis so tief wie möglich aushandelte, ist angesichts vielleicht versteckter Probleme in der Bilanz und pendenter Rechtsfälle verständlich. Hinzu kommen eine 9-Milliarden-Franken-Garantie für Risiken vom Bund und 200 Milliarden Liquiditätshilfen von Nationalbank und Bund sowie 16 Milliarden Franken Entlastung durch die Entwertung der sogenannten AT1-Obligationen der CS (darüber weiter unten mehr).

Schwieriger zu verstehen ist dagegen das Handeln der Behörden inklusive der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Diese hatten die Credit Suisse schon seit Monaten auf dem Radar. Trotzdem kam es zu einer Rettung in letzter Minute mit Notrecht. Die Aufsichtsinstanzen sind zwar nicht für die Managementfehler der CS verantwortlich, aber sie und die Revisionsstellen haben die Werthaltigkeit der Bilanzaktiven per Ende 2022 abgesegnet. Und in einer Medienmitteilung haben die SNB und die Finanzmarktaufsicht (Finma) am Mittwochabend, 15. März, als der CS-Börsenkurs nach dem Kollaps der amerikanischen Silicon Valley Bank krass abgestürzt war, via Communiqué bestätigt, «dass von den Problemen gewisser Bankinstitute in den USA keine direkte Ansteckungsgefahr für den Schweizer Finanzmarkt ausgeht. Die für die Schweizer Finanzinstitute geltenden strengen Kapital- und Liquiditätsanforderungen sorgen für die Stabilität der Institute. Die Credit Suisse erfüllt die an systemrelevante Banken gestellten Anforderungen an Kapital und Liquidität. Die SNB wird im Bedarfsfall der CS Liquidität zur Verfügung stellen.»

Nationalbank und Finma haben die Öffentlichkeit bewusst in die Irre geführt.Diese positive Lagebeurteilung wurde verbreitet, obwohl die SNB und die Finma zum damaligen Zeitpunkt bereits wussten, dass der Bundesrat mit der UBS und der Credit Suisse Verhandlungen über eine nachhaltige Lösung aufgenommen hatte. Finanzministerin Keller-Sutter sagte an der Medienkonferenz denn auch: «Erste Gespräche mit der UBS und der CS haben bereits am letzten Mittwochnachmittag, also am 15. März, stattgefunden.» Der Grund: «Bereits in den vergangenen Monaten und Wochen hat das Finanzdepartement in engem Austausch mit dem Bundesrat und zusammen mit der Finanzmarktaufsicht der SNB die Lage am Finanzmarkt eng verfolgt und verschiedene Szenarien entwickelt. Am letzten Mittwoch, am 15. März, wurde dann aufgrund der turbulenten Entwicklungen am Markt klar, dass die Liquidität der Credit Suisse nicht mehr gesichert ist.»

Die SNB und die Finma haben somit die Öffentlichkeit bewusst in die Irre geführt, und viele Anleger haben deswegen ihre CS-Aktien wohl nicht verkauft, sondern sogar noch zugekauft. Auch die Inhaber sogenannter AT1-Wandelanleihen dürften sich nach den beruhigenden Feststellungen der obersten Aufsichtsorgane in Sicherheit gewiegt haben. Wie der Schweizer Staat mit diesen Papieren, 16 Milliarden Franken, dann umging, rief besondere Kritik hervor. Das sind Obligationen, die gemäss Emissionsprospekt im Notfall zum Auffangen von Verlusten dienen, aber bevor sie an die Reihe kommen, wird regelgemäss das Aktienkapital herangezogen.

Nun haben die Schweizer Behörden beim Seilziehen zwischen Aktionären und Obligationären einfach beschlossen, Letztere zu enteignen und die UBS somit um 16 Milliarden Franken besserzustellen. Zur Enteignung kommt hinzu, dass diese Gruppe gar total auf null gestellt wurde, während die Aktionäre mit ihren 76 Rappen pro Aktie einen Rest erhalten. Damit wird die vorgesehene Reihenfolge des Opferbringens verletzt. Die Anzeichen verdichten sich, dass aus diesem Lager kräftige Klagen aus dem Ausland auf die Schweiz zukommen könnten.

Falsche Gerüchte

Die Anwälte Daniel Hayek und Guy Deillon von der Kanzlei Prager Dreifuss erinnern daran, dass die Schweiz über 120 bilaterale Investitionsförderungs- und -schutzabkommen unterzeichnet habe, die unter anderem vor nichtkommerziellen Risiken bei Investitionen von Schweizern im Ausland und Ausländern in der Schweiz schützen sollen, so etwa vor unrechtmässigen Enteignungen. Die beiden Juristen weisen zudem darauf hin, dass mit Blick auf das Fusionsgesetz eine Ausschlussklausel fehle und Aktionären dadurch eventuell eine Klage auf Entschädigung möglich werde.

Gespannt sind viele auch auf die Reaktionen des grössten CS-Aktionärs, der Saudi National Bank (knapp 10 Prozent). Laut Wall Street Journal kam von ihm in letzter Minute ein Vorschlag für eine Finanzspritze von rund fünf Milliarden Dollar zum Schutz der Anleihengläubiger – er sei jedoch nicht zum Zug gekommen.

Apropos Ausland: Während die Schweizer Journalisten am Schicksalssonntag in Bern stundenlang vor dem Bernerhof, dem Finanzdepartement, ausharrten, berichtete die britische Financial Times (FT) laufend genüsslich über den Stand der Verhandlungen. Bereits in den Tagen zuvor, als die Schweizer Börse noch geöffnet war, wartete die FT mit Meldungen über eine Fusion von UBS und CS auf. Ob diese aus dem britischen Finanzministerium stammten, mit dem Bundesrätin Keller-Sutter offensichtlich in intensivem telefonischem Kontakt stand, kann nur vermutet werden. In jedem Falle wäre diese Verbreitung von börsenrelevanten Insiderinformationen oder falschen Gerüchten ein Straftatbestand.

Wenn die Finanzministerin, wie sie andeutete, schon fast täglich mit ihren Kollegen Janet Yellen, der amerikanischen Finanzministerin, und Jeromy Hunt, dem britischen Finanzminister, in Kontakt stand, dann muss man sich fragen, warum sie dann nicht die mangelhafte Überwachung der in den USA und Grossbritannien domizilierten Betrügerfirmen Greensill und Archegos thematisiert hat, denn die Verluste aus diesen Engagements waren wohl der letzte Tropfen, der bei der Credit Suisse das Fass zum Überlaufen brachte. Wobei: Was steckte eigentlich hinter den Mittelabflüssen bei der CS, und woher weiss man, dass eine UBS nicht auch diesen Kräften ausgesetzt sein könnte? – jedenfalls, wenn diese damit zusammenhängen sollten, dass die Schweiz im Ausland Bedenken weckt punkto Rechtssicherheit, Stabilität und politischer Unabhängigkeit.

Es drohen ein geschwächter Wettbewerb mit höheren Preisen und mehr Klumpenrisiken.Nun aber: Wenn die Bilanzzahlen der Credit Suisse per Ende 2022 nicht schöngefärbt waren, dann kann die UBS eine Bank mit 42 Milliarden Eigenkapital und einem Schuldenerlass von 16 Milliarden (AT1-Anleihen) für nur 3 Milliarden Franken übernehmen.

Ellenlanger Wunschkatalog

«Das war die einzig mögliche Lösung», sagte Keller-Sutter an der Pressekonferenz, jede andere Lösung hätte eine Finanzkrise ausgelöst. Fachleute sehen das anders. Oswald Grübel, früher CEO von CS und UBS, kritisierte in einem Interview mit dem Spiegel die getroffene Notvereinigung und legte dar, dass die Nationalbank die CS hätte kaufen und nach der Sanierung verkaufen sollen. Und nach der Einschätzung des Ökonomieprofessors Martin Janssen (Ecofin) wäre es ebenfalls weniger problematisch gewesen, die SNB hätte sich im Umfang von 25 bis 30 Prozent an der Credit Suisse beteiligt. Das hätte der Bank das Vertrauensproblem gelöst und Zeit verschafft, um die Situation zu bereinigen.

Das Resultat des Deals, den die Schweizer Behörden für alternativlos halten, ist jetzt neben dem Untergang der CS eine extreme Exposition der UBS, die zu einer neuen Mega-Bank wird, die bei einem weiteren Unglück wiederum vom Staat gerettet werden müsste. Es drohen ein geschwächter Wettbewerb mit höheren Preisen und mehr Klumpenrisiken bei Banken und Kunden. Schliesslich wird der neue Banking-Koloss Forderungen nach vielfältigster neuer Regulierung befeuern, nicht nur zum too big to fail-Problem, ellenlang ist der Wunschkatalog auf linker Seite, «maximalen Druck» brauche es jetzt, sagt die SP.

Aber die Marktkräfte soll man doch nicht vergessen. Es liegt ja im Interesse der UBS-Aktionäre, die riesige Firma möglichst gut zur Entfaltung zu bringen und deren Wert zu steigern, wie oben erwähnt: fein säuberlich zu strukturieren. Würde das seit je starke und rentable Schweizer Geschäft der Credit Suisse als eigene Einheit aufgestellt und an die Börse gebracht, wäre damit wohl in mancher Hinsicht für das Unternehmen und das Land viel erreicht.