Russische Importe machen fast 25 Prozent des Energie-Bedarfs der EU aus und deckten im vergangenen Jahr 40 Prozent ihres Erdgas-Konsums.

Jetzt will die EU bis zum Winter zwei Drittel des russischen Gases ersetzen. Doch der schnellen Ablösung der Energie aus Russland stellen sich etliche Hindernisse entgegen.

Problem 1: Atomkraftwerke.

Frankreich, der grösste Stromexporteur Europas, steckt in Schwierigkeiten: Wegen der Hitzewelle fahren mehrere Kernkraft-Reaktoren die Produktion zurück. Flüsse, die für die Kühlung der Reaktoren unerlässlich sind, trocknen aus.

Abschaltungen von AKWs zeichnen sich zudem aufgrund von Korrosions-Problemen an Sicherheitssystemen ab, die in einigen Reaktoren aufgetreten sind.

Die Ausfälle bei der Electricité de France haben die französische Atomstromproduktion auf den niedrigsten Stand seit fast dreissig Jahren sinken lassen.

Anstatt riesige Strommengen nach Grossbritannien, Italien und andere europäische Länder zu liefern, die vom russischen Öl abhängig sind, könnte Frankreich in diesem Winter Strom importieren müssen.

Auch in anderen Ländern werden AKWs kurzfristig russische Energie nicht ersetzen.

Weil Energie aus Kernkraft während Jahrzehnten medial und politisch schlechtgemacht worden ist, hat die Industrie einen grossen Teil ihrer Expertise verloren.

In Deutschland fordern Ökonomen deshalb, den Ausstieg aus der Kernenergie zu verschieben. Die drei noch verbliebenen Atomkraftwerke sollen nicht stillgelegt werden, um die Abhängigkeit von russischen Energie-Lieferungen zu reduzieren.

Problem 2: Alternative Energien.

Ihr quantitativer Anteil im Energiemix ist noch bescheiden – trotz enormer Subventionen. Die Erneuerbaren decken in den 27 EU-Ländern nur 22 Prozent des Energieverbrauchs ab.

Für eine rasche Umstellung auf Sonnen- oder Windkraft müsste Europa Materialien wie Kupfer, Lithium und Kobalt abbauen respektive importieren, die für alternative Energie-Technologien nötig sind. Experten erwarten bei diesen Rohstoffen weitere Preissteigerungen.

Zudem ist die Versorgungskette mit der weltweit steigenden Nachfrage nach erneuerbaren Energien überfordert.

Problem 3: Fossile Brennstoffe.

Das WEF erwartet, dass die EU in den nächsten fünf bis zehn Jahren etwa 5 Prozent mehr Kohle – einen der umweltschädlichsten Brennstoffe – für die Stromerzeugung verbrennen wird, um ihre russischen Öl- und Gasimporte einzuschränken oder auf sie zu verzichten.

Green Deal hin oder her: Deutschland könnte seine stillgelegten Kohle- und Ölkraftwerke wieder in Betrieb nehmen, und Polen hat bereits klargemacht, dass es künftig vermehrt auf Kohle setzen wird.

Problem 4: Andere Energielieferanten.

Brüssel hat eine Vereinbarung mit Ägypten und Israel über LNG-Exporte aus dem östlichen Mittelmeer unterzeichnet. Zudem arbeitet die EU-Kommission auch mit Energielieferanten wie den USA, Katar und Aserbaidschan zusammen.

Doch die geografische Diversifizierung bedeutet deutlich höhere Kosten für die Energieversorgung. Und es ist fraglich, ob sie sich kurzfristig realisieren lässt.

Problem 5: Energie sparen.

Die vier grössten Fraktionen im Europäischen Parlament schlagen vor, das Effizienzziel bis 2030 auf 14,5 Prozent zu erhöhen, während im letzten Jahr noch von 9 Prozent die Rede war.

Die bisherige Erfahrung zeigt allerdings, dass sich derart ambitiöse Energiespar-Ziele kurzfristig nicht realisieren lassen.