Seit die 22-jährige Mahsa Amini vor zwei Monaten verhaftet wurde und nach ihrer Festnahme starb, ist der Iran im Aufruhr. Im ganzen Land gehen Frauen, aber auch Männer auf die Strasse. Sie trotzen den Sicherheitskräften, die die Protestwelle mit Gewalt niederschlagen wollen.
Mehr als 300 Todesopfer sind laut Menschenrechts-Organisationen bisher zu beklagen. Seit Beginn der Demonstrationen am 17. September wurden an die 16.000 Menschen verhaftet. Die iranische Justiz macht aus ihrer Entschlossenheit, den Protesten ein Ende zu setzen, kein Geheimnis: Rund 1000 Menschen wurden bisher angeklagt, weil sie sich an den Demonstrationen beteiligt hatten, heisst es offiziell in Teheran. Mindestens drei Menschen sind bisher zum Tode verurteilt worden, weil sie der Islamischen Republik «Korruption auf Erden» und «Krieg gegen Gott» vorgeworfen hatten.
Die Ayatollahs reagieren mit wachsender Schärfe und Brutalität auf die Demonstrationen, die mittlerweile auch von Industriebetrieben und dem Teheraner Basar unterstützt werden.
Aber die Protestbewegung kann sich aus drei Gründen kaum Chancen ausrechnen, den Kampf gegen die Macht im Staat zu gewinnen.
Erstens sorgt eine Parallel-Armee für die innere Unverletzlichkeit der Islamischen Republik. Die Wächter der Islamischen Revolution sind direkt dem Revolutions-Führer unterstellt und haben den Auftrag, die Machthaber gegenüber Angriffen von innen zu schützen. Sie werden durch Polizeikräfte, Geheimdienste und freiwillige Milizen verstärkt. Revolutionsführer Khomeini hatte aus den Fehlern des Schahs gelernt, der 1979 aus dem Land fliehen musste. Seine Armee hatte sich damals neutral verhalten und weigerte sich, den Pfauenthron gegenüber den Gegnern der Monarchie zu verteidigen. Damit hatten die revolutionären Kräfte freie Bahn zur Übernahme der Herrschaft.
Zweitens fehlt der Bewegung heute eine Galionsfigur, mit der sich die Protestierenden identifizieren können. 1979 war das anders gewesen: Damals stand Ayatollah Khomeini bereit, und die Massen fieberten auf den Augenblick seiner Rückkehr aus dem Exil in die Heimat.
Und drittens hat es die Protestbewegung heute nicht wie damals mit einem Allein-Herrscher zu tun: Sie hat ein ganzes System gegen sich. Ali Chamenei, der 83-jährige Revolutionsführer, der an der Spitze des Systems steht, stützt sich nicht nur auf die Revolutionsgarden, sondern auf zahlreiche Stiftungen, die aus Eigeninteresse wollen, dass das System erhalten bleibt, weil sie sonst ihre Pfründe verlieren würden.
Iran hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Protestwellen erlebt. Manchmal wehrten sich die Bürger gegen wirtschaftliche Not, andere Male gegen politische Manipulationen. Aber alle Protestwellen, auch wenn – wie im Jahr 2009 – Millionen von Iranern in allen Provinzen des Landes auf die Strasse gingen, ebbten wieder ab. Mehrere Hundert Menschen wurden dann in Schauprozessen verurteilt.
Die brutalen Revolutionsgarden und Sicherheitskräfte, die fehlende Galionsfigur und das raffinierte, breit abgestützte System sind insgesamt schlechte Voraussetzungen für den Sieg liberaler Werte im Iran. Leider.