Kinder sind heute für viele ambitionierte und karriereorientierte Eltern zu Nebenprojekten verkommen. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass die Aufmerksamkeitsspanne für sie im Smartphone-Zeitalter rapide abnimmt, werden sie teilweise auch schon in ihren ersten Lebensjahren in Krippen gesteckt, in denen es oftmals viel weniger Betreuungspersonen gibt, als nötig wären. Dies, obwohl man aus der Psychologie weiss, wie wichtig insbesondere die ersten drei Jahre für die gesunde Entwicklung des Selbstbewusstseins sind.

Die Vernachlässigung unserer Kinder und die zu spärlichen Liebesbekundungen rächen sich, wie der Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz in einem neuen Buch mit dem Titel «Angstgesellschaft» aufzeigt. Die traumatisierten Kinder meinten, sie selbst hätten es verschuldet, dass sie zu wenig Liebe bekommen hätten: «Ich bin nicht richtig, nicht genug, nicht liebenswert.»

Die Kinder, die eine solche Frühtraumatisierung erlebt hätten, entwickelten sich oft zu gestörten Erwachsenen. Immer noch durstend nach Elternliebe suchten solche Personen krampfhaft nach Anerkennung, um sich grossartig zu fühlen und bestätigt zu werden.

Gerade in Krisenzeiten könnten solche Vernachlässigten aufblühen. Sie wollten als grosse Retter, als sichere Führer durch die Gefahr dastehen. Dabei dominierten eine enorme Selbstüberschätzung und ein Erfolgswahn, die als seelischer Schutz vor der Wiederbelebung der Ohnmacht gegenüber der unerfüllten Liebessehnsucht herhalten müsse. Damit diese narzisstische Selbstverherrlichung aufrechterhalten werden könne, müsse jeglicher Zweifel an ihnen und ihren Massnahmen im Keim erstickt und jede Kritik unterdrückt werden. Gerade Personen mit einer narzisstischen Störung eigneten sich besonders gut, in die Rolle des autoritären politischen Führers zu schlüpfen.

Mit anderen Arten der Frühtraumatisierung haben wir es nach Maaz bei der Gefolgschaft solcher Führer zu tun. Zum Beispiel, wenn das Kind nur Anerkennung und Zuwendung bekommen habe, wenn es die mütterlichen Erwartungen und Wünsche erkannt habe und zu erfüllen gewusst habe. Die Botschaft der Mutter: «Ich liebe dich nur, wenn du dich so verhältst und entwickelst, wie ich das brauche, wie mir das gefällt.»

So lerne das Kind von früh auf, mehr auf die Bedürfnisse der Mutter zu achten als auf seine eigenen. Es entstehe ein Abhängigkeitssyndrom: Lieber denke und tue man das, was von aussen erwartet werde, als selbständig und eigenverantwortlich das eigene Leben zu gestalten.

In der Corona-Zeit sind Menschen mit einem solchen Abhängigkeitssyndrom gemäss Maaz tendenziell in ihre alten Muster zurückgefallen: Sie hätten weiterhin abhängig-angepasst reagiert und seien obrigkeitshörige Befolger aller Anordnungen gewesen. Weil sie es vermieden, eigene Wege zu gehen und alles Eigenständige als unerlaubt wahrnähmen, hätten solche Menschen alle denunziert und verfolgt, die sich so verhielten.

Ohne Frühtraumatisierung in den Reihen ihrer Gefolgschaft hätten politische Herrscher, die die Gesellschaft spalten und terrorisieren, ein schwieriges bis unmögliches Spiel. Durch eine falsche Kindererziehung rollen wir also der Diktatur von morgen den roten Teppich aus.

Die entscheidende Zutat, die es in einer Gesellschaft mit vielen Frühtraumatisierten lediglich noch brauche, um eine freiheitliche Gesellschaft in eine Diktatur zu verwandeln, sei die Angst: «Will man friedfertige, demokratische Verhältnisse schaffen oder erhalten, müssen Ängste verhindert werden. Will man die Demokratie in eine Diktatur verwandeln, muss man Ängste schaffen und pflegen.»

Die Corona-Politik habe verdeutlicht, dass die politischen Eliten dieses Spiel nur zu gut verstanden hätten. Diese hätten die Gefahr aufgebläht und übertrieben und Kritiker zum Verstummen gebracht, um die eigene Macht massiv auszuweiten. Dass es bei vielen Massnahmen nicht um Gesundheitsschutz gegangen sein kann, dafür liefert Maaz ebenfalls reichlich Belege.

Die Gefahr extremistischer Haltungen und eines dogmatischen Denkens entstünde durch Traumatisierung in der Kindheit. Weil diese Ungerechtigkeiten nicht an den Verantwortlichen (den Eltern) abreagiert werden könnten, komme es zum Gefühlsstau.

In einer freiheitlichen Gesellschaft, die nicht durch permanente Angst geprägt sei, gebe es genügend Möglichkeiten, diesen Gefühlsstau abzureagieren, etwa durch aussergewöhnliche Leistungen im Sport oder im Beruf, durch Unterhaltung oder durch Zusammenschluss mit Gleichinteressierten in Gruppen und Vereinen, wo die Betroffenen Halt fänden.

Doch sobald Ängste wie etwa in der Corona-Krise geschürt würden, wo täglich Infektionszahlen in den Massenmedien verkündet und Schreckensbilder von überforderten Intensivstationen verbreitet wurden und funktionierende Gruppengefüge durch Social Distancing zerstört wurden, wünschten sich viele Frühtraumatisierte eine starke Führung, Rettung und Erlösung. Die Gefahr, dass sich dieser Gefühlsstau in extremistischen, hemmungslosen, unmenschlichen Schandtaten Bahn schlage, steige rasant.

Für den Machterhalt jedes Unrechtregimes sei daher die Herrschaft über die Kinderstube eine grundlegende Bedingung. So könnten immer genügend abhängige, unsichere, bedrohte Menschen reproduziert werden, die den politischen Führern bedingungslos folgten, unabhängig davon, wie absurd ihre Anordnungen für Nicht-Gestörte erscheinen mögen.

Es kann also kaum eine wichtigere Aufgabe und eine grössere Wohltat für die Allgemeinheit geben, als unseren Kindern genügend Aufmerksamkeit und Liebe zu schenken. Vernachlässigt eine offene Gesellschaft ihre Kinder, wird sie früher oder später im Totalitarismus aufwachen.