Schöner scheitern mit Berlin!

Man muss auch mal die Kirche am Alex lassen: Dass die deutsche Hauptstadt beim Bau des eigenen Flughafens um Milliarden überzieht, die Verwaltung nicht funktioniert, kriminelle Clans und linke Terroristen ein Eigenleben führen, wird nun noch veredelt durch eine fulminante Fehlleistung beim Lebensnerv der Demokratie: dem Abhalten einigermassen zivilisierter Wahlen.

Der Bundeswahlleiter fordert jetzt, die Abgeordnetenhaus-Wahl vom vergangenen September komplett zu wiederholen und zumindest sechs der zwölf Bundestagswahlkreise des zeitgleichen Urnengangs ebenfalls neu abstimmen zu lassen.

Was damals ablief, macht selbst den soliden Juristen Georg Thiel fassungslos: Über Stunden blieben Wahllokale geschlossen, weil Wahlzettel fehlten, in einigen stimmten Hunderte Wähler unbemerkt mit falschen Wahlzetteln aus Nachbarbezirken ab, die letzten Wahllokale schlossen nach 22 Uhr, obwohl gesetzlich um 18 Uhr Schluss sein muss.

Elektorales Sodom und Gomorrha an der Spree.

Doch weil Lotter-Berlin eben auch im Scheitern noch eins draufsetzen kann, wurden vom nicht eingewiesenen Wahl-Personal auch nur bruchstückhaft Protokolle gefertigt, sodass heute die Aufklärung pure Detektivarbeit ist.

Alles nicht so wild, meint die regierende SPD und hält die Nachwahl für übertrieben. Da könnte neben demokratischem Desinteresse auch ganz pragmatische Mangelverwaltung das Motiv sein: Im Augenblick fehlt der Verwaltung ohnehin das Papier für neue Wahlzettel.

Im komplizierten deutschen Wahlrecht würde allein das Nachwählen der schlimmsten Wahlfehler zu einem womöglich bundesweiten Stühlerücken im Parlament führen, weil Überhang- und Ausgleichsmandate in anderen Bundesländern kippen könnten.

Bei Wahlen in Weissrussland oder bei der Volkskammerwahl 1989 in der DDR wurde immerhin gezielt manipuliert.

Im Berlin der Gegenwart verkommt Demokratie einfach und kompostiert sich rückstandsfrei selbst.

Willkommen in der Weltstadt, wo wählen wurscht ist!

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein neues Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen.

Die 3 Top-Kommentare zu "Elektorales Sodom und Gomorrha: Der Bundeswahlleiter fordert, die Abgeordnetenhaus-Wahl vom September komplett zu wiederholen. Nur: Es fehlt Papier für neue Wahlzettel"
  • freipilot

    Es zeigt sich, dass die "woke" Großstadtszene zwar zu diversen Neuerungen wie politisch korrekter Minderheitenpolitik, zu gendergerechtem Sprachgebrauch, und zu vielem eher abseitigem, aber nicht zu einer funktionierenden Wahl fähig ist. Dabei ist das Wahlrecht anders als Ralf Schuler meint nicht "kompliziert", sondern durch Wahlzettel recht übersichtlich und auch nachprüfbar. Es würde natürlich helfen nicht 2 Wahlen mit unterschiedlichem Wahlalter zeitgleich abzuhalten, aber das ist eben "woke"

  • max.bernard

    Wer schon mal mit Berliner Behörden zu tun hatte, der wundert sich über dieses Chaos nicht im Geringsten.

  • wolf koebele

    Sehr geehrter Herr Schuler, der Anstand hätte es geboten, zu sagen, daß es nicht die Bildzeitung war, sondern eine Riege junger Journalisten (Apollo) unter dem Dach von Tichys Einblick, die den Saustall ermittelt hat und weiter nachforscht. Was schreibt uns die Bild-Redaktion aus Berlin?