Dieser Text erschien zuerst in der Zeitschrift Emma.

Was ist der Unterschied zwischen Nemo und Conchita Wurst?

Beide ESC-Sieger spielen mit den Geschlechterrollen, der eine trägt bei seinem Sieg am vergangenen Samstag ein rosa Röckchen und eine pink Tüllwolke, der andere trug 2014 lange Haare und dramatische Kleider zum gestutzten Bart.

Aber Tom Neuwirth, so der richtige Name von Conchita Wurst, hat nie behauptet, etwas anderes zu sein als ein Mann. Ein Mann, der sich das Recht und die Freiheit nimmt, Schminke und Kleider zu tragen.

Nemo hingegen identifiziert sich als nonbinär und kämpft für das Recht auf einen dritten Geschlechtseintrag in der Schweiz. Das gilt, zumindest in gewissen Kreisen, als hip und superfortschrittlich. Dabei ist es total reaktionär. Warum?

Erstens: Wir sprechen hier nicht von Fakten, sondern von einem «Gefühl». Nemo Mettler, 25, ist ein biologischer Mann (der übrigens mit einer Frau liiert sein soll). Dass er sich als nichtbinär identifiziert, ist sein persönliches Empfinden. Dass er dieses Empfinden in seinen Pass eintragen lassen möchte, ist ein erstaunliches Ansinnen. Denn genauso gut könnte man sein biologisch eindeutiges Geburtsdatum ändern lassen, wenn man sich älter oder jünger fühlt, als man ist.

Zweitens, und das ist aus feministischer Sicht viel wichtiger: Warum sollte denn ein Mann, der nicht den gängigen Geschlechterbildern entspricht, ein «anderes Geschlecht» haben? Wir Feministinnen sind doch dafür angetreten, dass Mädchen keine rosa Prinzessinnen sein müssen und Jungs keine blauen Supermänner. Wir haben dafür gekämpft, dass ein zarter, weicher Mann nicht als «Weichei» heruntergemacht wird, sondern auch ein «richtiger Mann» ist (und eine Frau mit Kurzhaarschnitt und festem Schuhwerk eine «richtige Frau»).

Was aber lernen Jungen, die Nemo beim ESC mit seiner Nichtbinären-Flagge wedeln sehen? Ein Mann im rosa Rock ist nicht etwa ein Mann, der so mutig ist, gegen die gängigen Geschlechterklischees zu verstossen. Sondern sie lernen: Er ist kein Mann.

Für alle kleinen und grossen Jungen, die selbst auf Rosa stehen und sich gern mal die Fingernägel lackieren würden, ist das keine Ermutigung, die zahllosen Varianten auszuprobieren, in denen man ein Mann sein kann. Im Gegenteil: Denn wenn sie sich das trauen, dann nur, wenn sie gleichzeitig das Mannsein ablegen.

Am Ende bleiben übrig: «echte» Männer und Nichtbinäre. Und das ist kein Fortschritt, sondern Rückschritt. Es schafft die Geschlechter-Schubladen nicht ab, sondern schafft neue: Wenn du gegen das Rollendiktat verstösst, dann musst du in eine andere Schublade wechseln.

Man sieht sie jetzt häufig, die Jungs mit den langen Haaren, den lackierten Fingernägeln und den Perlenketten. Wunderbar – eigentlich. Nur schade, dass sie sich alle nicht als Jungen definieren. Und schade, dass sie das so spannende Spiel mit den Geschlechterrollen verwechseln mit dem biologischen Geschlecht.

Richtig tragisch wird es übrigens für die biologisch weiblichen Nichtbinären. Während nämlich Nemo oder Kim de l’Horizon als schillernde Paradiesvögel unterwegs sind, aber körperlich natürlich Männer sind und bleiben, endet das angeblich so fortschrittliche Nichtbinärsein für viele junge Frauen mit der Amputation ihrer Brüste. Aber es klingt natürlich besser, wenn man dem unter Mädchen grassierenden Körperhass einen cooleren Namen gibt. Dann wird das Unbehagen mit dem Frauwerden und -sein eben nicht Resultat einer frauenfeindlichen Gesellschaft, sondern eine angeborene und daher unabänderliche «Geschlechtsidentität».

Wie praktisch, wenn das Mädchen, das seinen weiblichen Körper ablehnt, weil er ständig begutachtet und begrapscht wird, weil er in Pornos besamt und bespuckt wird, wenn dieses Mädchen nicht gegen all das patriarchale Elend aufbegehrt, sondern stattdessen behauptet: «Ich bin nichtbinär.» So schnell hat frau sich aus dem gedemütigten Geschlecht herausdefiniert.

Und die Ampelregierung applaudiert dazu, indem sie in ihrem sogenannten Selbstbestimmungsgesetz jedem Menschen gestattet, sich ohne jede Voraussetzung offiziell als «divers» eintragen zu lassen. (Vorher galt der Geschlechtseintrag «divers» nur für körperlich intersexuelle Menschen, die dafür ein ärztliches Attest vorlegen mussten. Rund 2000 haben seither von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Das sind 0,0025 Prozent der Bevölkerung.)

Dieses Gesetz ist dem weltweiten Siegeszug der Transideologie zu verdanken. Sie hat dafür gesorgt, dass Irritationen mit der Geschlechterrolle angeblich eine biologische Ursache haben. Das ist purer Biologismus. Das ist reaktionär.

Zurück zu – dem ohne Zweifel künstlerisch extrem begabten – Nemo und dem ESC. Tom Neuwirth hat 2014 als Conchita Wurst beim ESC ein wirklich mutiges Zeichen gesetzt. Er hat der Welt gezeigt, was und wie Männer alles sein können. Zehn Jahre später hat Nemo diesen Schritt zurückgedreht.