Die Europäische Union steht vor wirklich gewaltigen Aufgaben: Im Euro-Raum läuft die Inflation davon, und sie wirklich bei der Wurzel zu packen, würde bedeuten, die Finanzpolitiken der Mitgliedsländer zu vereinheitlichen.

In der Ukraine herrscht Krieg, und dem Nachbarn wirklich beizustehen, würde bedeuten, seinen Beitritt nicht auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben.

Doch die dicken Bretter werden nicht gebohrt. Dafür die dünneren.

Zum Beispiel der europäische Mindestlohn: Seine Höhe ist zwar offen, aber dass es ihn geben muss und das Prozedere, wie er zustande kommt, hat die EU jetzt festgelegt.

Dass diejenigen, die den Arbeitsmarkt am besten kennen, nämlich die Sozialpartner, Löhne und Arbeitsbedingungen ganz ohne politische Einmischung aushandeln sollen – ist ein Prinzip, das in der Union wenig Fürsprecher gefunden hat.

Auch die Frauenquote in Führungsgremien von Unternehmen ist so ein Beispiel: Die Beteiligten, die sie jetzt in der EU durchgesetzt haben, mögen es als dickes Brett empfinden, weil sie seit mehr als einem Jahrzehnt darum gerungen haben.

Aber die Frage, warum sich die EU in eine Angelegenheit einmischt, die am besten die Betriebe unter sich regeln, hat am Ende keiner mehr gestellt.

Es gibt ein Sprachungeheuer in der Psychologie, das heisst Prokrastination und beschreibt das Aufschieben von wirklich wichtigen Aufgaben als pathologische Störung.

Teil des Krankheitsbildes ist manchmal, dass Betroffene sich gern mit weniger Wichtigem ablenken.

Es sieht so aus, als müsste die EU in dieser Sache dringend auf die Couch.