Es waren wohl die ungemütlichsten Stunden im bisherigen Leben von Iris Bohnet. Die Professorin für Verhaltensökonomie an der Harvard Kennedy School, Verwaltungsrätin der Credit Suisse seit 2012, musste sich an der letzten Generalversammlung der ruinierten Traditionsbank etliches anhören. Ein Luzerner Kantonskollege, der sein ganzes Berufsleben für die CS gearbeitet hat, sprach sie an der Versammlung direkt an: «Übernimm Verantwortung für das, was du tust oder unterlässt.» Auch wurde Bohnet vorgerechnet, dass sie als CS-Verwaltungsrätin mehrere Millionen Franken eingesteckt habe – und eine solche Summe sei ihre Gesamtleistung bei weitem nicht wert.

«Die zehn Gebote»

Dabei hätte es der Zeitgeist nicht besser mit ihr meinen können. Die 56-jährige Iris Bohnet – ehemals Vize-Schweizer-Meisterin im Synchronschwimmen – nutzte die Welle, die Frauen in ungeahnte Höhen trägt. Aufgewachsen ist die Tochter deutscher Eltern in Emmen. Sie demonstrierte in jungen Jahren gegen die Apartheid in Südafrika und fand wohl schon damals zu ihrem Lebensthema: Gerechtigkeit. Iris Bohnet studierte Wirtschaft, Geschichte und Politologie und doktorierte am renommierten Zürcher Lehrstuhl von Bruno S. Frey.

Zielstrebig und ehrgeizig suchte sie ihr Glück in den USA und erreichte schon mit 32 Jahren den Titel einer Assistenzprofessorin an der Harvard-Universität in Boston. 2006 wurde Bohnet ordentliche Professorin, 2011 für drei Jahre Dekanin. Heute amtet sie als Co-Direktorin des «Women and Public Policy Program» der Harvard Kennedy School, einer Elite-Ausbildungsstätte für künftige Staatsoberhäupter, Politiker, Diplomaten und Spitzenbeamte. Ihr weibliches Geschlecht wirkte zweifellos karrierebeschleunigend – umso mehr, als sie das Gender-Bias zu ihrem Lebensthema machte, nämlich die unbewussten Vorurteile gegenüber Geschlechtern und deren Überwindung.

Frauenförderung und Diversity

Die erste Ordinaria aus der Schweiz an der Harvard University wurde auch hierzulande medial gross gefeiert. Bohnet trat in der SRF-«Sternstunde Philosophie» ebenso auf wie im Style, in der Schweizer Illustrierten ebenso wie im Migros-Magazin. In der Annabelle verkündete sie – ein weiblicher Moses – «Die zehn Gebote der Iris Bohnet». Sie war sowohl «die Spitzenfrau» (NZZ am Sonntag) wie auch eine «Star-Ökonomin» (NZZ-Magazin) sowie «Wonder Woman» (Tamedia), jedenfalls Absolventin einer «Bilderbuch-Karriere» (CH Media). Sogar die TV-Ökonomin Patrizia Laeri bezeichnet Bohnet als ihr grosses Vorbild. Und Urs Rohner, damals neuer Präsident der Credit Suisse, holte sie in seinen Verwaltungsrat, worauf der Tages-Anzeiger jubelte: «Die CS soll weiblicher werden».

2019 entsetzte sich die Internetexpertin Muriel Staub, dass Frauen im Allgemeinen in Wikipedia-Einträgen unterrepräsentiert seien und Iris Bohnet im Speziellen keinen Eintrag habe. Das hat sich inzwischen geändert, doch der Text dürfte die Porträtierte wenig freuen. Bohnet habe, steht da, «als am längsten amtierende Verwaltungsrätin massgeblich Mitverantwortung für die Fehlentwicklungen, die 2023 zum Untergang der Credit Suisse führten». Unter dem Einfluss der Expertin für Anreizstrukturen habe der vierköpfige Vergütungsausschuss zugelassen, dass die Grossbank seit 2013 nicht mehr nur nach objektiven Kriterien, sondern auch nach subjektivem Ermessen entschied. So kam es zu einem starken Anstieg der Boni, unter anderem von einigen hundert Material Risk Takers und Controllers, speziell im Problembereich des US-Investmentbankings – und dies selbst in den Jahren von Milliardenverlusten der CS.

Glücklos agierte Iris Bohnet auch als Mitglied des Nachhaltigkeitsausschusses. Dieser sah vor, dass die CS einerseits innert zehn Jahren mindestens 300 Milliarden Franken an «nachhaltiger Finanzierung» bereitstellen, anderseits aus Öl- und Gasprojekten aussteigen sollte. Doch der Bereich «Sustainability, Research & Investment Solutions» platzte, Lydie Hudson musste als zuständiges Konzernleitungsmitglied die Credit Suisse Ende 2021 verlassen. Auch förderte Verwaltungsrätin Bohnet nach Kräften Lara J. Warner, eine Absolventin ihres «Women and Public Policy Program» in Harvard. Diese wurde 2019 Chief Compliance and Regulatory Affairs Officer, scheiterte aber an dieser Aufgabe und zeichnet operativ verantwortlich für sämtliche CS-Skandale der letzten Jahre.

Der fulminant gescheiterte Verwaltungsrat umfasste eine Mehrheit von sieben Frauen.Statt Risiken zu minimieren und den Unternehmenswert zu steigern, setzten Credit Suisse und Professorin Bohnet auf Gender-Fragen, Frauenförderung und Diversity. Der fulminant gescheiterte Verwaltungsrat umfasste eine Mehrheit von sieben Frauen. Für Bohnet war es besonders wichtig, dass Vorstellungsgespräche hinter einem Vorhang stattfinden. Dank ihrer Einflussnahme prüfte die CS «die Möglichkeit, Lebensläufe im Bewerbungsprozess zu anonymisieren, um der Problematik der ‹unbewussten Denkmuster› entgegenzuwirken». Iris Bohnet nahm gegenüber der Weltwoche keine Stellung.

Ihre Söhne sind gute Feministen

Bei der letzten Bestätigungswahl des CS-Verwaltungsrates erhielt Bohnet gerade noch 51,8 Prozent der Stimmen. Der norwegische Staatsfonds wollte sie abwählen, die Anlagestiftung Ethos wünschte die ganze «alte Garde» ins Pfefferland. Mehr Glück als im Verwaltungsrat der Credit Suisse hat die Emmenerin in Harvard mit ihrem Familienleben. Ihr Ehemann, eine Liebe seit gemeinsamen Studienzeiten in Zürich, arbeitet als Anwalt in den USA und erfreut sie zu Weihnachten jeweils mit einem Fotobuch zur Dokumentation des vergangenen Jahres. Und mit den beiden Teenagern kommt offenbar auch alles gut. Jedenfalls verkündete Iris Bohnet in den Schweizer Medien: «Meine Söhne sind gute Feministen.»