Als ich 1984 in der DDR das Abitur ablegte, musste ein Klassenkamerad in der mündlichen Biologie-Prüfung über die Embryonalentwicklung sprechen. Der Vortrag sei «fachlich einwandfrei» gewesen, beschied die Prüfungskommission und gab ihm eine Drei (befriedigend).

Begründung: Er wolle ja bekanntlich keinen verlängerten Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee leisten und zeige damit, dass er nicht verstanden habe, dass junges Leben und Aufwachsen im Sozialismus auch geschützt werden müsse.

Der Beitrag des früheren Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maassen (60) zum renommierten Grundgesetzkommentar Epping/Hillgruber sei «fachlich nicht zu beanstanden», betonte der Verlag C. H. Beck, als im letzten Sommer etliche Autoren des Standardwerks den Rauswurf Maassens forderten. Letzterem kam Maassen jetzt zuvor und kündigte selbst.

Hintergrund für die offene Kollegenschelte gegen den Topjuristen Maassen sind dessen öffentliche Äusserungen, die «eine heftige Diskussion mit fortschreitender Polarisierung» nach sich gezogen hätte, wie der Verlag schreibt: «Wir distanzieren uns von allen extremen politischen Äusserungen von Autoren, die die Grenzen des verfassungsrechtlich Vertretbaren austesten.»

Nun sind politische Äusserungen ein verbrieftes Bürgerrecht ebenjener Verfassung, die Maassen fachlich unbeanstandet kommentiert hat. Wo er die Grenzen der Verfassung «getestet» hätte, bleibt ebenfalls unklar, wäre allerdings im Gegensatz zum «Überschreiten» dieser Grenzen durchaus zulässig.

Man muss Ansichten und Wortwahl von Hans-Georg Maassen nicht teilen, um zu konstatieren, dass missliebige Meinungen offenbar in der Bundesrepublik wieder unter Druck geraten und aus der öffentlichen Wahrnehmung getilgt werden sollen, wenn sie einem bestimmten Milieu nicht passen.

Ein Jurist, der über das Asylrecht vielbeachtet promoviert, Fachzeitschriften und ein Handbuch herausgegeben und das Grundgesetz völlig unbeanstandet und klug kommentiert hat, muss öffentlichen Denunziationen weichen.

Im Jahr 2020 kündigte der S.-Fischer-Verlag nach mehr als vierzig Jahren Zusammenarbeit den Vertrag unter fadenscheinigen Vorwänden wegen mehrerer migrationskritischer Texte. Der Fortschritt ist eine Schnecke, und die Spanne zwischen 1984 und 2023 offenbar genauso kurz wie das historische Gedächtnis mancher akademischer Eliten, die ihre politische Stube «sauber» halten wollen.

 

Ralf Schuler ist Politikchef bei Rome Medien und betreibt den Youtube-Kanal «Schuler! Fragen, was ist»

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein neues Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen.

Die 3 Top-Kommentare zu "Gesinnungs-Terror: Verlag C. H. Beck trennt sich von Top-Jurist Maassen. Missliebige Ansichten sollen in der Bundesrepublik offenbar wieder getilgt werden"
  • johnnyjohnson

    Verfassungsschützer Dr. Maaßen ist an der Spitze einer Bundesbehörde gescheitert, weil er 2018 nach schweren Ausschreitungen in Chemnitz die Authentizität eines Videos bezweifelte, die eine mutmaßliche Hetzjagd auf Ausländer zeigte." Der Widerspruch von Dr. Maaßen gegen ein Filmchen, welches von einer linksextremistischen Gruppierung der Antifa-Szene produziert (gefälscht?) wurde, ist sehr berechtigt. Und es war gut und richtig, dass diese vermeintliche Hetzjagd als Fake enttarnt wurde!

  • Betrachtung

    Man liest an verschiedenen Stellen von den extremen Ansichten des Herrn Maaßen, ohne daß irgendwo erläutert wird, worin die bestehen. Ich habe verschiedene Interviews mit Herrn Maaßen gehört bzw. gelesen und empfand ihn immer als überlegt, sachlich, erklärend und seine Ansichten begründend, in hohem Maße vernünftig. Das wäre ein überzeugender Bundespräsident.

  • johnnyjohnson

    Die linksextreme Antifa-Truppe hatte ein Fake-Filmchen zusammengebastelt, das eine angebliche Hetzjagd von AfD-Anhängern gegen Asylanten implizieren sollte. Aber den Teufel mit dem Belzebub (Lug und Betrug ist die kommunistische Methode) austreiben zu wollen, das geht wirklich nicht. Echte Demokratie geht anders!