Los Angeles

Scott Adams sah sein publizistisches Ende kommen. Im Jahr 2020 schrieb er auf Twitter: «Ich gehe davon aus, dass meine Einnahmen aus ‹Dilbert› im nächsten Jahr weitgehend verschwinden werden.» Es dauerte etwas länger. Der famose Comic erscheint erst jetzt nicht mehr. Aber nicht, wie Adams vermutete, weil die Zeitungen ihr Erscheinen wegen des Coronavirus «für immer einstellen», sondern weil er am 22. Februar in seinem täglichen Online-Kommentar «Scott Adams Says» die weisse Bevölkerung aufforderte, sich von Schwarzen fernzuhalten.

Sofort liessen Hunderte von Zeitungen, darunter die Washington Post, die Los Angeles Times und USA Today «Dilbert» fallen. Auch wird der Verlag Penguin Random House Adams’ neues Buch «Reframe Your Brain», das im September hätte erscheinen sollen, nicht veröffentlichen. Mit der Prognose zur Corona-Pandemie lag er falsch, nun beerdigte Scott Adams seine Erfolgsfigur Dilbert halt selber.

Wegbereiter für «The Office»

Es gab Zeiten, da ging Adams’ Drei-Bild-Comic-Streifen viral, als dieses Wort noch nicht inflationär im Umlauf war. Über 2000 Zeitungen in 56 Ländern druckten die tägliche Dosis «Dilbert» ab. Adams schrieb und zeichnete sich in den neunziger Jahren zum Comic-König empor. Dilbert, strichmännchenhaft und gesichtslos dargestellt, ist ein dahinvegetierender Angestellter in einem Technologiebetrieb. Adams war einer der Ersten, die die Business-Welt und den Büromief mit all den Worthülsen, Managementtheorien und -leerläufen aufs Korn nahmen; zynisch, bösartig, brillant.

Martin Suter, der erfolgreichste Schweizer Schriftsteller, nahm wenig später mit demselben Thema in Textform ebenfalls Fahrt auf. Die Kolumne hiess «Business Class» und erschien in der Weltwoche. «Dilbert», den es Ende der neunziger Jahre zwei Staffeln lang sogar als Fernsehserie gab, gilt auch als Wegbereiter für legendäre TV-Formate wie «The Office» und dessen deutsches Pendant «Stromberg».

Inspiriert wurde Adams von den darin geschilderten Grossraumbüros. Der studierte Ökonom, der 1986 einen MBA in Berkeley machte, arbeitete jahrelang in einer kalifornischen Bank und in einem Telekommunikationsunternehmen, wo er «keine Minute etwas im Geringsten Produktives tat», wie er einmal sagte. Er stand um vier Uhr auf, zeichnete einen Comic und ging danach ins Grossraumbüro. Immer mehr Zeitungen veröffentlichten «Dilbert», und Adams machte sich Mitte der neunziger Jahre selbständig.

Gott jagt sich selbst in die Luft

Und dann kam Trump. Der Präsident elektrisierte Adams wie so viele andere Amerikaner.

Dank seiner Erreichbarkeit über das aufkommende World Wide Web hatte er einen direkten Draht zur Leserschaft, die ihn per E-Mail mit immer neuen Büro-Anekdoten versorgten. Laut einem Bericht von 1995 erhielt er schon damals 500 Nachrichten pro Tag. So stand der New Yorker im stetigen Austausch mit der Basis, wusste immer, wo der Schuh drückte, und hatte gleichzeitig eine nie versiegende Ideenquelle. Seit dieser Zeit veröffentlicht Adams mit wenigen Ausnahmen jeden Tag mindestens einen Comic.

Die Hochleistungszeichnerei forderte ihren Tribut. 2004 diagnostizierte man bei Adams eine fokale Dystonie. Zeichnen war durch diese neurologische Störung nicht mehr möglich. Mit einem Graphic Tablet konnte er seine Arbeit wiederaufnehmen. Wegen einer spasmodischen Dysphonie, einer Verengung der Muskeln im Kehlkopf, verlor Adams auch seine Stimme. 2008 wurde er erfolgreich operiert, so dass er wieder normal sprechen konnte.

Er veröffentlichte auch immer wieder Bücher, die nichts mit Dilbert zu tun hatten, über Lebensverbesserung und Religion. In seinem Buch «God’s Debris» machte er 2001 ein Gedankenexperiment: Gott jagt sich selbst in die Luft, um zu sehen, was passieren wird, wodurch das Universum entsteht. Seine Religionstexte seien sein ultimatives Vermächtnis, sagte Adams einmal gegenüber Bloomberg Businessweek.

Und dann kam Donald Trump. Der damalige Präsidentschaftskandidat elektrisierte Adams wie so viele andere Amerikaner. Es waren aber nicht die politischen Inhalte, die ihn so faszinierten, sondern die Herangehensweise des Politik-Novizen. Adams sah das im Auftritt Trumps bestätigt, an was er glaubte. Nämlich, dass man mit Überzeugungskraft alles erreichen kann.

Adams schrieb 2015 Blogeinträge, in denen er voraussagte, dass Donald Trumps Chancen, Präsident zu werden, bei 98 Prozent lägen. Auf seinem Blog vertiefte er seine Analysen zu den Überzeugungstechniken des von allen Seiten verhöhnten Amtsanwärters und fand damit grossen Anklang. Daraus entwickelte der ausgebildete Hypnotiseur ein tägliches Youtube-Format namens «Coffee with Scott Adams». Neben seinen Cartoons äussert er sich dort seither ebenfalls fast täglich zu gesellschaftlichen und politischen Themen.

Seine Bewunderung für Trump bescherte ihm aber nicht nur eine Menge Fans. Er sagte, dass die Bezeichnung «Donald-Trump-Apologet» ihn seine Karriere als öffentlicher Redner kostete und sein Einkommen um etwa 40 Prozent verringerte. Die Zahl seiner Freunde sei zudem um etwa 75 Prozent zurückgegangen. Im Jahr 2018 lobte Adams auch die schliesslich gescheiterte Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, Alexandria Ocasio-Cortez. Adams ist ein Wechselwähler: manchmal unterstützt er republikanische Positionen, manchmal demokratische.

Durch seine Verehrung für Trump, oder zumindest für dessen Durchschlagskraft, geriet Adams unter verschärfte Beobachtung des Justemilieu. Im September 2022 entfernten über siebzig Zeitungen «Dilbert» von ihren Seiten, weil sich Adams in seinem Cartoon neuerdings auch über die politisch immer korrekter werdende Bürokultur lustig machte. Konkret baute er einen schwarzen Angestellten ein, der sich als Weisser identifiziert und dem gesagt wird, er solle sich auch als schwul zu erkennen geben, auf dass die Firma eine bessere Bewertung punkto gesellschaftlicher Unternehmensverantwortung erhalte.

Die Rassenthematik griff er auch am vorletzten Mittwoch in seinem Video-Blog auf, der zum Todesurteil für «Dilbert» wurde. Adams zitierte das Ergebnis einer Studie des Umfrage-Instituts Rasmussen. Dort hatten 47 Prozent der schwarzen Teilnehmer der Aussage «Es ist in Ordnung, weiss zu sein» nicht zugestimmt. Adams erklärte, dass er sich eine Zeitlang als Schwarzer identifizierte, «einfach, um zu den Gewinnern zu gehören», nach dieser Umfrage aber nichts mehr mit ihnen zu tun haben möchte.

«Haltet euch von Schwarzen fern»

«Wenn fast die Hälfte aller Schwarzen Weisse nicht okay findet, gemäss dieser Umfrage, nicht gemäss mir, ist das eine Hassgruppe, mit der ich nichts zu tun haben möchte. […] Den besten Ratschlag, den ich Weissen geben kann: Haltet euch verdammt noch mal fern von Schwarzen, wo auch immer ihr hinmüsst, haltet euch fern, weil es keine Lösung dafür gibt … es ergibt einfach keinen Sinn mehr für weisse Amerikaner, Schwarzen zu helfen, es lohnt sich nicht. […] Wir sollten freundlich miteinander sein, ich meine nicht, einen Krieg oder so zu beginnen, haltet euch einfach fern.» Ein Zusammenleben von Schwarz und Weiss hat für den 65-jährigen Adams offenbar keine Zukunft.

Das ist starker Tabak. Der Medienexperte des konservativen Fox News Channel kommentierte: «Ich bin völlig verblüfft, wie der Schöpfer von Dilbert in einem Youtube-Video, das man nur als rassistische Tirade bezeichnen kann, in wenigen Minuten seine Karriere in die Luft gejagt hat.» Das Time-Magazin erkennt im Verhalten von Adams die Position eines Weissen, der sich zusehends als «Opfer eines fortschrittlichen sozialen Wandels» sieht. Durch die Streichung seines Comics in Hunderten von Zeitungen dürfte sich Adams in dieser Diagnose bestätigt fühlen.