Anonyme Denunzianten haben auf Twitter kürzlich mehrere grosse Unternehmen, darunter Audi beziehungsweise VW, an den Pranger gestellt, weil sie auf dem Blog «Achse des Guten» Anzeigen geschaltet hatten. Daraufhin reagierten die Social-Media-Teams, bedankten sich für die Hinweise und stellten die Anzeigen ein.

Der Blog wird unter anderem von Henryk M. Broder herausgegeben, einem ehemaligen Kolumnisten der Weltwoche.

Weltwoche: Herr Broder, einige dieser «Premiumkunden» canceln nun die Anzeigen bei der «Achse des Guten» beziehungsweise setzen den Blog auf eine Blacklist. Wie konnte das passieren?

Henryk M. Broder: Nun ja, wir sind selbst davon überrascht. Es handelt sich alles in allem um ungefähr zehn grössere Unternehmen, und zwei davon waren leichtsinnig genug, den Umgang mit den Aufrufern online zu stellen. Man stellte uns als Verschwörungstheoretiker dar. Einmal hiess es sogar, wir seien antisemitisch – das war eine besonders gute Pointe. Nachdem sich die Unternehmen für die Hinweise bedankt hatten, kündigten sie an, die Ausspielung der Werbung entsprechend anzupassen. Ähnliches ist bei Aktion Mensch passiert, die auch über ihre Werbeagentur regelmässig bei uns Anzeigen schaltete. Sie schrieben, dass sie auf solchen Seiten nicht vertreten sein wollen.

Das Ganze hat – ich weiss, es ist gemein, aber – es hat was mit der neuen deutschen Denunzianten-Kultur zu tun. Die hat sich still während der Corona-Tage eingebürgert. Es ist ungefähr so, als würde ich, weil ich meinen Nachbarn nicht leiden kann, bei der Polizei anonym anrufen und sagen: «Da findet gerade eine Heroin-Orgie statt!» Das Entscheidende ist, dass die Firmen – belegbar ist es bei Audi und bei Aktion Mensch – auf so was überhaupt reagieren und dann die Werbungen canceln lassen. Das ist der eigentliche Skandal.

Weltwoche: Glauben Sie, diese Unternehmen haben Angst vor einem Shitstorm? Müssen sie vielleicht damit rechnen, Gewinne einzubüssen?

Broder: Ich glaube, das ist eine Imagefrage. Es gab neulich einen Skandal mit einer Frau Passmann. Sie hat sich in einem kurzen Statement mit der schweizerischen Zeitschrift Annabelle kritisch zur Frage des Rassismus geäussert. Darauf hat sie so einen grossen Shitstorm erlebt, dass sie sich ein paar Tage später entschuldigte und versprach über das Thema nachzudenken. Den grossen Unternehmen geht es genauso wie dem einzelnen Menschen – sie wollen keinen Shitstorm provozieren. Das Wahnsinnige dabei: Es genügt eine Denunziation und die Behauptung, wir seien rechts. Selbst wenn wir rechts wären, wäre das immer noch kein Grund, uns zu denunzieren. Rechts ist eine genauso legitime Position wie links oder liberal. Also ich glaube, es ist schlicht Feigheit. Audi würde selbst bei einem Shitstorm kein Auto weniger verkaufen. Was die Aktion Mensch angeht, ist es besonders perfide, weil wir genau das Milieu bedienen, das für Aktion Mensch spendet. Es herrscht ein dauerhysterischer Zustand in Deutschland.

Weltwoche: In einem Video sprechen Sie davon, dass diese Firmen die Diversität mit der Regenbogenfahne praktisch leben … Täuscht jetzt dieser Eindruck, dass man eben doch nicht so tolerant ist mit anderen Meinungen?

Broder: Ich weiss es nicht. Ich glaube schon, dass die Firmen tolerant sind – diese Toleranz auch gerne demonstrieren – gegenüber sexuellen Minderheiten. Das finde ich auch vollkommen richtig so. Aber es ist eben die woke Toleranz. Wir haben an mehrere dieser Firmen geschrieben und nur höflich angefragt, warum Sie ihre Werbung bei uns nicht sehen wollen. Wir bekamen keine Antwort. Auf die Denunziation wird sofort reagiert, und wenn wir nur die Gründe haben wollen, wird nicht einmal geantwortet. Das ist keine Frage der Toleranz, das sind einfach schlechte Manieren.

Weltwoche: Bei den Firmen kann man also eigentlich nur Vermutungen anstellen. Wer könnte hinter diesen Denunzianten stecken?

Broder: Wir haben bis jetzt zwei Identitäten herausgefunden und überlegen, was wir damit anfangen. Ansonsten haben wir keine konkrete Vermutung. Twitter ist eine Art von Kloake. Das ist so, als würden Sie ein Dixi-Klo in Ihr Wohnzimmer stellen und sich hinterher beschweren, dass es stinkt. Ich glaube, Twitter ist vor allem für Leute sehr attraktiv, die aus der Anonymität heraus ihre Drecksarbeit machen. Ich vermute, das sind relativ junge Menschen ohne grosses historisches Wissen, ohne Erfahrung, vermutlich auch ohne Arbeit, die an möglicherweise irgendwelchen NGO-Projekten teilnehmen und den ganzen Tag in ihren kleinen, verrauchten, ungelüfteten Zimmern sitzen, um dann auf dem Computer Heldentaten zu vollbringen. Es wirkt auch klar abgesprochen.

Weltwoche: Wie werten Sie diese Boykott-Kampagne? Wie stark trifft es die «Achse des Guten»?

Broder: Das trifft uns ziemlich stark. Wir haben einen Aufruf an unsere Leser gemacht, die grosszügig gespendet haben. Wir können damit eine Weile weitermachen. Der Wegfall der Werbung ist für uns zwar nicht vernichtend, aber schon existenzgefährdend.

Weltwoche: Andere Medien schweigen zu diesem Vorfall. Glauben Sie, das ist einfach stille Schadenfreude, oder wollen sie schlicht Andersdenkende nicht verteidigen?

Broder: Weder noch. Gegen die richtig grossen Medien wie zum Beispiel Spiegel oder Welt sind wir ein Floh. Die glauben einfach, wenn es uns erwischt, ist es nicht so schlimm. Natürlich fängt so was nicht bei den Grossen an. Aber da ist sozusagen die Grenze meines Verständnisses erreicht: Es hat sich in Deutschland nach eigenen Erfahrungen mit autoritären Systemen noch nicht herumgesprochen, dass es jeden erwischen könnte. Wenn es uns heute erwischt, kann es morgen die Bild-Zeitung erwischen. Lesen Sie das Gedicht von Martin Niemöller.

«Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.

Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter.

Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude.

Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.»

Es ist ein gewagter Vergleich, aber es gibt gewisse Mechanismen, die in Deutschland überlebt haben: Die Denunziantenkultur und das schnelle Nachgeben, Sichfügen und Einordnen. Und das ist viel schlimmer als alles andere.

Weltwoche: Herr Broder, besten Dank für dieses Gespräch.