In meiner Jugend hatte ich einen Freund, der sich ungemein schwertat, auch nur die einfachsten Entscheidungen zu treffen. Im Supermarkt etwa konnte er minutenlang vor dem Kühlregal stehen und sich fragen, welche Sorte Buttermilch er kaufen soll.

Erdbeere? Oder doch Himbeere?

Er zögerte und zauderte und schüttelte dazu nervös die rechte Hand. Unentschlossene Menschen können anstrengend sein. Für sich und ihre Umwelt.
In der Politik gelten jedoch andere Gesetze als im wirklichen Leben. Das ist manchmal mühsam und gibt Anlass zu Spott.

Doch in der Politik geht es mitunter um Leben und Tod und nicht einfach nur um Buttermilch.

Nehmen wir den deutschen Bundeskanzler: Seit Wochen schlagen Olaf Scholz Hohn und Häme entgegen.

Wegen seiner zögerlichen Haltung zum Ukraine-Krieg. Wegen seines vorsichtigen Taktierens in Fragen des Energie-Embargos. Wegen seines zurückhaltenden Agierens in Sachen Waffenlieferungen. Dafür wird er insbesondere aus den Redaktionsstuben mit Verachtung gestraft. Denn Zögern und Zaudern ist aus der Mode gekommen. Der nassforsche Entscheider ist der Held der Stunde.

Dabei sind schnelle Entschlüsse kein Selbstzweck: Schon die Römer wussten, dass stoisches Abwarten mitunter zielführender sein kann als dröhnende Entschlussfreudigkeit.

Das beste Beispiel dafür ist Fabius Maximus, genannt «Cunctator» – der Zögerer.
Mit seiner hinhaltenden Taktik und lediglich kleineren, lokalen Operationen gelang es ihm, im Zweiten Punischen Krieg den scheinbar überlegenen Hannibal auszuzehren. Nach vierzehn Jahren musste Hannibals zermürbtes Heer schliesslich Italien verlassen.

Der Dichter Quintus Ennius dichtete: Unus homo nobis cunctando restituit rem – ein einzelner Mann hat uns durch sein Zögern den Staat wiederhergestellt.
Wahrscheinlich wird sich kein Dichter finden, Olaf Scholz in Hexametern zu preisen. Schade eigentlich. Denn in einer von Aktionismus besoffenen Zeit gehört viel Weitsicht und Entschlossenheit dazu, mit Augenmass zu agieren.

Immerhin Henry Kissinger, das alte Schlachtross globaler Sicherheitspolitik, verteidigt Olaf Scholz.

Denn Kissinger weiss sehr gut: Langer Atem, Geduld und Augenmass sind die Schlüssel erfolgreicher Aussenpolitik.