Manchmal wird es einem dann doch ein wenig bange.

Wenn man im Verfassungsschutz-Bericht die Formulierung «Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates» liest, zum Beispiel, und der Inlandsgeheimdienst dann beschreibt, dass damit Personen gemeint sind, die demokratische Entscheidungsprozesse und Institutionen verächtlich machen und zum Ignorieren behördlicher oder gerichtlicher Anordnungen aufrufen.

Es liegt sicher an mir und meiner Vita, dass ich unwillkürlich an die erste Verfassung der zu Recht verflossenen DDR und ihren Artikel 6 («Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen») denken muss, der so «wunderbar» diffus gehalten war, dass man in fast allen Lebenslagen damit abstrafen konnte.

«Es ist alles wie früher, nur anders», pflegt mein zuweilen etwas nostalgischer Bekannter immer zu sagen. Dann streiten wir uns meistens. Hier fällt es mir schwer.

Die Sache ist in Wahrheit alles andere als lustig: Der Verfassungsschutz verschiebt weitgehend unbemerkt seit längerem die Grenzen seines Auftrags. Sollte er sich ursprünglich lediglich um Leute kümmern, die «aggressiv-kämpferisch» die freiheitlich-demokratische Grundordnung abschaffen wollen, so kam unter dem jetzigen Chef Thomas Haldenwang (62) noch die Verfolgung von «gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit» hinzu.

Ein klarer Wechsel von Umstürzlern jeglicher Couleur hin zu bestimmten Meinungs-Strömungen, ganz gleich, ob sie geeignet sind, die Grundordnung zu gefährden.

An eine Meinungspolizei war bei Gründung des Verfassungsschutzes allerdings nicht gedacht. Nun also rückt auch die Verächtlichmachung staatlicher Institutionen ins Visier des Bundesamtes. Eine Stossrichtung, die ein so breites Spektrum an selbstverständlicher und eigentlich von genau der Verfassung gedeckter Kritik künftig angreifbar macht, die der Dienst zu schützen vorgibt, dass man sich im falschen Film wähnt.

Von einem korrigierenden Einschreiten der Bundesinnenministerin ist gleichfalls nichts zu hören.

Ich finde, es reicht nicht, Leute zu verfolgen, die am Staat rummosern. Der Schritt vom Kritik-Verbot zum Jubel-Gebot ist nur konsequent.
Das ist natürlich polemisch – und soll es auch sein.

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein neues Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen.