Zweck eines Staates ist der Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger. Auf der ganzen Welt schwören oder geloben Magistraten, Verfassung und territoriale Integrität des Landes zu schützen. Unsere Bundesverfassung nennt insbesondere «Freiheit und Rechte des Volkes» sowie «Unabhängigkeit und Sicherheit des Landes» als Schutzobjekte. In der berühmten Kaskade der US-amerikanischen Eidesformel «preserve, protect, and defend» kommt das Moment des Behütens besonders stark zum Ausdruck. Auch in Deutschland wird geschworen, Schaden vom Volk zu wenden. All das setzt den Schutz des Lebens voraus, und darum hat ein Staat nach Frieden zu streben.
Kriege lassen sich nicht dosieren
Neutralität ist ein Friedensinstrument. Wer sie nicht ernst nimmt, nimmt Krieg nicht ernst. Dabei ist diese umfassendste Form menschlicher Machtausübung eine todernste Sache. Auch von jedem Schweizer Soldaten wird Auftragserfüllung «unter Einsatz des Lebens» gefordert.
Neutralität ist moralisch nicht verwerflich. In vielen Fällen ist sie sogar geboten und Ausdruck intelligenten Verhaltens. So rät die Polizei dringend davon ab, sich in Schlägereien oder Messerstechereien einzumischen. Sogar wenn man selber angegriffen wird, soll man «Geld, Handy oder Wertgegenstände lieber aushändigen» und «deeskalieren». Wie könnte, was im Kleinen moralisch richtig ist, im Grossen falsch sein?
Krieg lässt sich auch nicht nach den Plänen der Politiker dosieren und begrenzen. Spätestens seit Helmuth von Moltke wissen wir, dass kein Plan die erste Feindberührung übersteht. Kriege werden mit den «boots on the ground» gewonnen. Am Ende geht es um den Blutzoll, zu dem die Akteure bereit sind. Unmoralisch handelt, wer die Öffentlichkeit über diese bittere Wahrheit hinwegtäuscht.
Neutralität ist eine Maxime, von der man im kantschen Sinne wollen kann, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.
Es ist eine Sache, «unverbrüchliche Solidarität» zu bekunden und Waffenlieferungen zu fordern. Aber es ist etwas ganz anderes, auf dem Flugfeld die Särge der Gefallenen entgegenzunehmen, die angeblich «für die Freiheit» gestorben sind. Ein Staat, der seine – wehrpflichtige – Jugend für einen Drittstaat sterben lässt, handelt jedenfalls moralisch nicht besser als einer, der seine Jugend in Freiheit leben lässt. Kritik seitens der Kriegstreiber ist dafür ein geringer Preis.
Neutralität ist eine Maxime, von der man im kantschen Sinne wollen kann, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. Denn würden sich alle Länder aus fremden Händeln heraushalten und nur ihre souveränen Rechte und Freiheiten bewaffnet verteidigen, wären wir dem Paradies auf Erden einen grossen Schritt näher. Eine bessere Grundlage für moralisch richtiges Handeln ist nicht vorstellbar. Der Umstand, dass Kriege traurige Realität sind, tut dem keinen Abbruch. Es käme schliesslich auch niemand auf die Idee, das Strafrecht abzuschaffen, weil Verbrechen begangen werden.
Auch wenn es in der zivilisierten Welt keine gerechten oder gar heiligen Kriege gibt, kann Kriegführung trotz allem unvermeidlich werden. Man spricht dann häufig von der Ultima Ratio – vom letzten Mittel oder von der letzten Vernunft. Das impliziert, dass zuvor alles, aber wirklich alles unternommen wurde, um den bewaffneten Konflikt zu verhindern. Und weil ein Krieg für die Menschen fürchterlich ist, muss auch alles darangesetzt werden, einen laufenden Krieg möglichst rasch zu beenden. Das wäre das moralisch Richtige.
Überaus schädlich ist das Relativieren der Neutralität durch sogenannt lösungsorientierte Politiker. Wer von Konfliktparteien nicht als neutral wahrgenommen wird, ist nicht neutral, mag er noch so rabulistisch zwischen Gesinnungsneutralität, politischer Neutralität, diplomatischer Neutralität und rechtlicher Neutralität unterscheiden.
Im Zusammenhang mit dem Weiterverkauf von Schweizer Waffen und Munition wird behauptet, das Pochen des Bundesrats auf Einhaltung geltenden Rechts und klarer Verträge stelle ein moralisches Versagen dar. Das ist ungeheuerlich! Da soll der Staat genau zu jener rechtlosen Räuberbande gemacht werden, vor der schon Augustinus warnte. Selbst wenn die Lieferung von Waffen und Munition nicht nur sachlich, sondern auch moralisch richtig sein sollte: Der offene Rechtsbruch, ja selbst der Aufruf dazu ist es niemals.
Wo gilt «klare Kante»?
Wie wacklig der moralische Hochsitz der Neutralitätskritiker ist, zeigt sich auch in ihrer Unfähigkeit, eine generell-abstrakte Regel über Sinn und Unsinn der Neutralität aufzustellen. Wenn die Parteinahme im Ukraine-Krieg moralisch geboten ist, warum ist sie es dann nicht in anderen Konflikten? Warum gilt «klare Kante zeigen» nicht auch in den zahlreichen Kriegen in Afrika oder zwischen Schiiten und Sunniten?
Die Berufung auf sogenanntes Völkerrecht und internationale Gremien ist zwar verlockend, hält aber einer Überprüfung nicht stand. Zu erratisch sind die dort getroffenen Entscheide. Wie überall, wo Interessen und Macht die Moral verdrängen.
Sie müssen sich anmelden, um einen Kommentar abzugeben.
Noch kein Kommentar-Konto? Hier kostenlos registrieren.
Die Kommentare auf weltwoche.ch/weltwoche.de sollen den offenen Meinungsaustausch unter den Lesern ermöglichen. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass in allen Kommentarspalten fair und sachlich debattiert wird.
Das Nutzen der Kommentarfunktion bedeutet ein Einverständnis mit unseren Richtlinien.
Scharfe, sachbezogene Kritik am Inhalt des Artikels, an Protagonisten des Zeitgeschehens oder an Beiträgen anderer Forumsteilnehmer ist erwünscht, solange sie höflich vorgetragen wird. Wählen Sie im Zweifelsfall den subtileren Ausdruck.
Unzulässig sind:
Als Medium, das der freien Meinungsäusserung verpflichtet ist, handhabt die Weltwoche Verlags AG die Veröffentlichung von Kommentaren liberal. Die Prüfer sind bemüht, die Beurteilung mit Augenmass und gesundem Menschenverstand vorzunehmen.
Die Online-Redaktion behält sich vor, Kommentare nach eigenem Gutdünken und ohne Angabe von Gründen nicht freizugeben. Wir bitten Sie zu beachten, dass Kommentarprüfung keine exakte Wissenschaft ist und es auch zu Fehlentscheidungen kommen kann. Es besteht jedoch grundsätzlich kein Recht darauf, dass ein Kommentar veröffentlich wird. Über einzelne nicht-veröffentlichte Kommentare kann keine Korrespondenz geführt werden. Weiter behält sich die Redaktion das Recht vor, Kürzungen vorzunehmen.
"Es käme schliesslich auch niemand auf die Idee, das Strafrecht abzuschaffen, weil Verbrechen begangen werden."
Doch gerade so geschieht es, dass die Klimaterroristen freie Hand haben, die andere Hand brauchen sie zum kleben, und dazu noch Geld verdienen. Die Justiz versagt auf der ganzen Linie.
"Es käme schliesslich auch niemand auf die Idee, das Strafrecht abzuschaffen, weil Verbrechen begangen werden."
Doch gerade so geschieht es, dass die Klimaterroristen freie Hand haben, die andere Hand brauchen sie zum kleben, und dazu noch Geld verdienen. Die Justiz versagt auf drr ganzen Linie.
Wer nicht neutral ist, der verliert zwangsläufig an Erkenntnisfähigkeit und Analysefähigkeit und an Urteilskraft und an Glaubwürdigkeit und an Problemlösungspotenzial. Wer nicht neutral ist, der ist nicht mehr objektiv, sondern er schränkt seinen eigenen Horizont selber ein, er legt sich selbst Scheuklappen an, er wird voreingenommen, befangen, und leicht korrumpierbar.
Ich unterschreibe ihren Kommentar mit.
Und es geht schon lange um mehr: Es geht um die nationale Souveränität. Und in dieser Hinsicht robbt sich der Bundesrat und damit der neo"liberale" Mainstream der Berufspolitiker immer wieder auf dem Bauch an die NATO-Vasallen-EU heran. R.K. nennt das zutreffend (leider auch verharmlosend) "Selbstverzwergung". Ich nenne das Landes-Selbstverrat.
Mein Bild: Die führenden Einwohner des "gallischen Dorfes" betteln ständig um den Überfall einer Räuberbande.