Es ist ein Stoff für einen Thriller. Krieg herrscht in Europa. Russland gegen die Ukraine, hinter ihr der Westen. Fernab vom Schlachtfeld lecken plötzlich zwei Gasleitungen.

Ein Unfall wird ausgeschlossen. «Es war ein Sabotageakt», sagen alle. Vergleiche mit James Bond liegen nahe. Wer ist der Bösewicht? Wer ist Dr. No?

Der Tatort befindet sich offenbar hundert Meter unter dem Meeresspiegel auf finsterem Meeresgrund. Da müssen Kampftaucher am Werk gewesen sein oder Kampfdrohnen. Oder war gar ein U-Boot im Einsatz?

Nur eine Macht, die zu solchen Kommandoaktionen fähig ist, kommt als Täter in Frage. Die zwei Hauptverdächtigen sind rasch ausgemacht: Russland und die USA.

Im Westen zeigten die Finger sofort auf Putin. Ihm sei alles zuzutrauen. Aber dreht er nicht schon lange den Gashahn nach Belieben zu? Wozu sollte er seine Möglichkeit, Macht auszuüben, zerstören?

Die USA? Ein Tweet sorgte für Aufsehen. «Thank you, USA», twitterte der ehemalige polnische Verteidigungsminister, bekannt als antirussischer Falke. Ist das nicht schon fast ein Geständnis?

Erst recht, wenn man sich an ein Statement von US-Präsident Biden erinnert, der sagte: «Wenn Russland (in der Ukraine) einmarschiert ... wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben. Wir werden dem ein Ende setzen.» Und er doppelte nach: «Ich verspreche Ihnen, dass wir dazu in der Lage sein werden.»

Allerdings ist Biden bekannt dafür, dass er manchen Schmarren erzählt. Abgesehen davon ging es damals um Druckausübung auf Deutschland, wie die Präsidenten-Sprecherin unterstrich.

Der Anschlag war kein Kurzschlussakt. Bei solchen Aktionen muss der Täter einen klaren Plan haben. Er muss sich einen Nutzen davon versprechen.

Was wäre das Motiv der Amerikaner? Putins Machtinstrument in Europa zu kappen? Russland zu verkrüppeln? Dann würde man die Russen noch fester in die Arme der Chinesen und Inder drücken. Oder das westliche Bündnis zusammenzuschmieden? Das steht ja bereits seit Monaten wie ein Glied.

Und Putin? Hat er nicht stets versucht, den Druck auf den Westen zu erhöhen und das atlantische Bündnis zu torpedieren? Indem er seine eigene Pipeline sprengt, fliessen nicht mehr mal die abgemachten 20 Prozent, sondern gar nichts mehr. Angesichts hoher Energiekosten und kalter Stuben könnten sich Europäer rasch mal fragen, ob ihre Solidarität mit den Ukrainern wirklich die Entbehrungen wert ist. Ausserdem findet Putin problemlos Abnehmer für sein Gas. Im Osten stehen sie bereits Schlange.

Überzeugend wirkt keines der dargelegten Argumente. Cui bono?, lautet die Schlüsselfrage. Wem nützt dieser Anschlag?

Da fällt einem eigentlich nur ein Land ein: die Ukraine. Sie steht bereits im Krieg. Die Führung in Kiew will das gesamte ukrainische Territorium zurückerobern, das ihnen die Russen seit 2014 entrissen haben. Da ist sie darauf angewiesen, dass der Westen auch durch den Winter wie ein Mann hinter der Ukraine steht.

Bis zum Wochenende sah die Lage so aus: Sollte ein Frieden zustande kommen, besteht die Chance, dass die Pipeline wieder geöffnet wird. Das ist jetzt nicht mehr möglich. Der Anreiz für Europa, den Russen ein Ultimatum zu präsentieren, ist deutlich gesunken.

«Jetzt, da beide Pipelines unbrauchbar sind, hat Europa viel weniger Anreize, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben oder die Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen», schreibt der britische Daily Sceptic.

Und er liefert einen weiteren Grund, warum die Ukraine als Täter in Frage kommt.

«Die Nord-Stream-Pipelines befinden sich im gemeinsamen Besitz von Russland und Deutschland.» Das heisst: Schlagen die USA die Pipeline leck, kommt dies einem direkten Angriff auf Russland gleich. «Und wenn Russland sie sabotiert, bedeutet das, dass Russland die Nato direkt angegriffen hat.»

Hinzu kommt, dass Russland die Infrastruktur der Ukraine angreift. Da ist die Schwelle für die Ukrainer niedrig, Gleiches mit Gleichem zu vergelten.

Doch sind die Ukrainer zu einer solchen Kommando-Aktion überhaupt in der Lage?