Russland will das westliche Dnjepr-Ufer räumen, und Wladimir Putin verzichtet auf seine Teilnahme am G-20-Gipfel in Indonesien.

Beide Entscheidungen beflügeln die Siegesgewissen in der Ukraine und im Westen.

Das Szenario aus ihrer Sicht: Russland ist geschwächt, wird zurückgedrängt hinter den Dnjepr, als Nächstes hinausgeworfen aus der Ostukraine, zuletzt dann die Rückeroberung der Krim.

Das Ende des Putin-Regimes naht, vielleicht, wer weiss, gefolgt von einer liberalen, prowestlichen Regierung in Moskau.

Ein Triumph im weltweiten Kampf für Menschenrechte und Demokratie – man darf ja noch träumen.

Die Skeptiker halten den Atem an. Ist der Rückzug hinter den Dnjepr nur eine Falle? Oder strebt Russland mit geringstmöglichen Verlusten ins Winterlager – um dort abzuwarten, bis Inflation und leere Gasspeicher die Westeuropäer mürbe machen? Will Putin mit seiner Abwesenheit in Jakarta nur sicherstellen, dass es derzeit gar nicht zu Verhandlungen kommt?

Die Gesprächskanäle zwischen Washington und Moskau sind weiterhin offen. Für die Aussenwelt geht es um die Vermeidung der entscheidenden Eskalation: des Atomkriegs.

Doch vielleicht weiss man in Washington viel mehr, als die Berliner Politiker erfahren. Oder die Kiewer. Es entspräche der russischen Mentalität, die Umrisse einer politischen Lösung nicht auf dem offenen Forum eines Gipfels zu diskutieren, sondern bilateral mit dem Erzgegner USA.

Deutschland spielt in diesem Rahmen keine Rolle mehr.

Es gibt auch keine nennenswerten deutsch-russischen Kontakte. Wer einen Vorstoss in dieser Richtung wagt oder auch nur vorschlägt, wird von den eigenen Medien mundtot gemacht. Damit ähneln die russlandpolitischen Spielräume der Bundesrepublik denjenigen um 1950. Mit dem Unterschied, dass die gegenwärtige Impotenz freiwillig und selbstgewählt ist.