Fussball und Politik müsse man immer trennen. Kaum etwas hat man im Umfeld der WM in Katar öfter gehört als diesen ewigen Anspruch auf den unbefleckten Sport. Aber kaum je war die politische Einflussnahme auf die Protagonisten grösser als während der ersten WM im arabischen Raum.

Elf Tage nach dem WM-Final erlebte die Fussballgeschichte ihr nächstes epochales Ereignis – den Tod des Jahrhundert-Fussballers Pelé.

Unzählige Nachrufe wurden seither geschrieben und Lobeshymnen gesungen – auch in diesen Spalten. Und die meisten beschworen den Mythos und die Romantik dieses Ausnahmekönners, der vom armen Schuhputzer zum brasilianischen Monument wurde.

Eine vor rund zwei Jahren erschienene 105-minütige Netflix-Dokumentation wirft einen anderen Blick auf den Superstar – und lässt kritische Töne zu. Die Geschichte gipfelt in Pelés grösstem Triumph – dem dritten WM-Titel, errungen 1970 im monumentalen Aztekenstadion in Mexiko-Stadt gegen Italien (4:1).

Spätestens in diesem Moment erhielt Pelés Geschichte machtpolitische Dimensionen: Brasilien befand sich im Würgegriff der Militär-Diktatur, die Hunderte von Oppositionellen foltern oder sogar ermorden liess.

Der Präsident, General Médici, posierte an der Seite von Pelé – und nutzte den sportlichen Erfolg zu seinen Gunsten. Brot und Spiele! Schliesslich lässt sich ein zufriedenes Volk besser regieren.

Auf die Frage, ob ihm die Foltermethoden des Regimes bekannt gewesen seien, sagt Pelé im Film: «Wenn ich behaupten würde, nichts davon gewusst zu haben, würde ich lügen. Wir haben von vielen Dingen gehört. Aber wir waren uns nicht sicher, ob es stimme oder nicht.»

Das Thema schien ihm unangenehm – und er flüchtete sich in eine übliche Floskel: «Ich war ein normaler Mensch, dem Gott die Gabe gegeben hatte, Fussballer zu sein. Und ich war überzeugt, mit diesem Talent mehr für mein Land getan zu haben als viele Politiker.»

Das Fazit des Films schliesst sich dieser Selbsteinschätzung an: Der WM-Titel 1970 gehörte nicht der Diktatur – sondern Pelé und dem brasilianischen Volk.

Am Schluss trommelt Pelé auf dem Schuhputzkasten herum, mit dem er als Jüngling das erste Geld verdient hatte.

Der Zuschauer ist gerührt – doch er bleibt mit der wichtigsten Frage allein zurück: Hätte Pelé mit einer aufrechteren (und politischeren) Haltung – wie sie beispielsweise Muhammad Ali mit Blick auf den Vietnam-Krieg zeigte – die Geschichte seines Landes auch abseits des Fussballplatzes verändern können?