Liberal sein bedeutet, dass man andere Menschen als Zweck und nicht als Mittel zum Zweck erachtet. Jeder soll sein Leben selbst gestalten dürfen, weil wir alle einzigartig und verschieden sind. Allen steht deshalb das Recht zu, eigene Ziele mit eigens bestimmten Mitteln anzusteuern und so nach ihrem persönlichen Glück zu streben. Niemand hat das Recht, andere gewaltsam daran zu hindern.

Damit dieses Non-Aggressions-Prinzip durchgesetzt werden kann, braucht es Eigentumsrechte. Diese sind sowohl Schutz für den Einzelnen gegenüber Aggressionen als auch Grenze des Handelns für jeden, weil niemand die Freiheit haben soll, andere anzugreifen und deren Eigentum wegzunehmen oder zu bedrohen. Eigentumsrechte und Vertragsfreiheit garantieren die friedliche Übertragung von Eigentumstiteln unter der Bedingung der Freiwilligkeit sowie den Schutz jedes Einzelnen, weshalb sie elementare Grundlage einer friedlichen, freien und prosperierenden Gesellschaft sind.

Jeder Staat, der sich anmasst, Dinge zu tun, die über den Schutz von Eigentumsrechten hinausgehen, verletzt dieses elementare Recht auf geschütztes Privateigentum. Er wird damit zum illegitimen Aggressor, der Frieden, Freiheit und Wohlstand bedroht. Es spielt dabei keine Rolle, ob ein solcher Staat seine Aggression nur gegen seine eigenen Staatsbürger richtet oder auch gegen Staatsbürger anderer Länder. Ob er nun Eigentumstitel als Sozialstaat durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt beschlagnahmt oder sie mit Bomben zerstört: Er ist derjenige, der angreift, und daher der Täter.

Aus liberaler Sicht sind vor dem Gesetz alle Menschen gleich. Es spielt dabei keine Rolle, ob sie ihre Taten in der Rolle eines einfachen Bürgers, Beamten oder Generals verüben. Es ist auch unerheblich, ob jemand seine Verantwortung zu vertuschen versucht, indem er angibt, im Namen des Staates zu handeln, oder eine spezielle Uniform trägt. Wer anderen Schaden zufügt, obwohl von den Angegriffenen selbst keine entsprechende Aggression ausgegangen ist, handelt feindlich.

In einem Krieg ist die Situation – anders als bei Individualdelikten – oft undurchsichtig und schwierig zu beurteilen. Aufgrund geheimer Regierungs- und Militäraktivitäten und enormen Desinformationskampagnen aller Kriegsparteien ist die Wahrheit oft nur schwer ergründbar, sodass in der Hitze des Gefechts kaum abschliessend festgestellt werden kann, wer nun Täter und wer Opfer ist, ob die Gewalt aus Selbstverteidigung erfolgte oder nicht.

Aus liberaler Perspektive fällt es deshalb schwer, sich auf die Seite eines ganzen Kollektivs wie «Russland» oder «Ukraine» zu schlagen. «Russland» ist kein handelnder Akteur, ebenso wenig «die Ukraine». Es sind die dahinterstehenden Menschen, die im Namen von «Russland» und «der Ukraine» agieren und die Entscheide treffen – ohne dass sie alle anderen mit russischem oder ukrainischem Pass um Erlaubnis hätten bitten müssen.

Es wäre Ausdruck grosser Verwirrtheit, alle Ukrainer oder alle Russen zu verurteilen und sich dann auf eine Seite zu schlagen und gegen eine ganze Menschengruppe Sanktionen oder Enteignungen zu fordern. Eine kollektive Verurteilung lässt die vielen Individuen, die sich hinter diesen Labels verstecken, völlig ausser Acht. Auf beiden Seiten gibt es Kriegstreiber und Pazifisten, gibt es solche, die gegen ihren Willen zum Kämpfen versklavt werden, solche die ihr Land fluchtartig verlassen mussten.

Weil die Gemengelage derart undurchsichtig ist, sollte man sich darauf fokussieren, was man weiss: Beide Seiten – Russland und die Ukraine – sind keine liberalen Rechtsstaaten, die sich auf den Schutz der Eigentumsrechte fokussieren. Die politischen Herrscher beider Länder sind daher Aggressoren, wie auch all jene, die diese Aggressionen in irgendeiner Form unterstützen. Die Opfer sind die ukrainischen und russischen Bürger, die diese Aggressionen über sich ergehen lassen müssen, die mit Bomben angegriffen werden oder zwangsweise in den Militärdienst eingezogen werden. Diese Unschuldigen gilt es aus liberaler Sicht zu schützen, deren Rechte vehement einzufordern.

Sollen liberale Waffenlieferungen befürworten oder nicht?

Eines steht fest: Wer sicher keine Waffen liefern sollte, sind Staaten – also zum Beispiel die Schweiz. Denn diese können solche Kampfinstrumente nur liefern, indem sie ihre eigene Bevölkerung ausplündern, indem sie also auch zu Eigentumsverletzern und dadurch zu Aggressoren werden.

Der Staat muss sich also zwingend raushalten.

Bleiben also noch Privatpersonen: Wer als Privater Waffen ausschliesslich an die Opfer liefert, gegen den ist aus liberaler Sicht a priori nichts einzuwenden, weil Selbstverteidigung ein legitimes Recht eines jeden Angegriffenen ist. Sie helfen damit den Unterdrückten in ihrem legitimen Kampf gegen ihre Aggressoren, solange sich die Unterdrückten mit verhältnismässigen Mitteln (zum Beispiel gegen einen gewaltsamen Einzug in die Armee oder gegen Soldaten, die sie mit Gewalt bedrohen) wehren und selbst nicht zu Aggressoren werden. Sobald Privatpersonen aber Waffen an Vertreter von Unrechtsstaaten liefern, machen sie sich selbst schuldig. Sie helfen damit jenen, die Verbrechen begangen haben und begehen.