Wladimir Putin wechselt vom Angriffsmodus in eine Art Vorneverteidigung mit dem Ziel, nicht noch weitere Teile der besetzten Ost- und Südukraine an die Kiewer Truppen zu verlieren. Von einer «Entnazifizierung» und «Entmilitarisierung» der Ukraine ist keine Rede mehr – glaubt man dem russischen Präsidenten, geht es nur noch um den Schutz der prorussischen Ukrainer im Süden und Osten.

Wie in der Vergangenheit motiviert Putin die nächste Eskalation mit der «aggressiven Politik eines Teils der westlichen Eliten», die alles daransetzten, ihre Herrschaft zu sichern. Er wirft ihnen er vor, Drittstaaten ihren Willen aufzwingen und «Pseudo-Werte» durchsetzen zu wollen.

Was 1991 mit der Sowjetunion geschehen sei, stehe im nächsten Schritt ganz Russland bevor: «Dem Westen geht es darum, unser Land zu schwächen, zu spalten und letztlich zu vernichten.»

Zu diesem Zweck habe der Westen kaukasische Terroristen unterstützt, Offensivwaffen an der russischen Grenze installiert und russophobe Hasskampagnen geschürt. Die Ukraine sei zu einem antirussischen Brückenkopf ausgebaut worden, die ukrainische Bevölkerung lediglich Kanonenfutter. Ukrainern, die das Ergebnis des Kiewer Umsturzes 2014 nicht guthiessen, drohten Terror und Völkermord.

Putin thematisiert inzwischen auch die Bedrohung Russlands und der Krim. Kiew wirft er vor, unter westlichem Druck auf einen möglichen Verhandlungsfrieden verzichtet und stattdessen Atomwaffen gefordert zu haben. Weitere Angriffe auf den Donbass «und dann auch auf die Krim und Russland» würden die notwendige Folge sein.

Die russischen Rückschläge erwähnt er mit keinem Wort, auch nicht die Erfolge der Ukrainer im Nordosten und Süden.

Im Kern ist die Rede eine Drohgebärde Richtung Westen. Einen Satz untermalt er mit aggressiver Energie: «Bei Bedrohung der territorialen Integrität unseres Landes und der Sicherheit unserer Bevölkerung werden wir bedingungslos sämtliche Mittel einsetzen, über die wir verfügen.» Die angekündigten Referenden dienen dazu, die besetzten ukrainischen Gebiete in dieses Versprechen einzubeziehen.

Die russischen Bürger könnten gewiss sein: Territoriale Integrität, Souveränität und Freiheit würden gewahrt bleiben: «Ich wiederhole noch einmal: mit allen verfügbaren Mitteln.» Das sei kein Bluff, fügt er mit stechendem Blick hinzu, wahrscheinlich motiviert von westlichen Zweifeln an seiner Bereitschaft zum Äussersten. Ganz offenkundig plagt ihn dieser Verlust an Autorität.

Um Missverständnissen vorzubeugen, beruft er sich auf angebliche Aussagen westlicher Staatsführer, Massenvernichtungswaffen gegen Russland einsetzen zu wollen.

Als technische Begründung der Teilmobilmachung dient ihm die Länge der Frontlinie von über 1000 Kilometern. Die gleiche Erklärung benutzt sein Verteidigungsminister Sergei Schoigu, der sich kurz nach Putins Rede interviewen lässt.

Erstmals seit über fünf Monaten nennt er auch russische Gefallenenzahlen: 5937 Tote. Auch die ukrainischen kennt er auf den Kopf genau: 61.207, mehr als zehnmal so viele.

Der Spott im anonymen russischen Internet ist ihm sicher.