Lesen Sie unbedingt «Meine ukrainische Familie» von Regula Stämpfli auf Seite 25 der neuen Weltwoche. Und denken Sie über die Geschichte nach.

Sie werden mehr über die heutige Welt, über unsere Gesellschaft lernen, als wenn sie sich ein Jahr lang durch zehn Abos des Mainstreams gekämpft haben.

Ich habe die Geschichte gelesen, weil die Autorin Regula Stämpfli ist.

Die Frau fasziniert mich schon lange.

Ich kenne Regula Stämpfli nicht persönlich. Aber sie ist im TV in jeder zweiten Talkrunde. Und fällt mir dort positiv auf.

Wenn ich über meine Faszination für diese Frau nachdenke, habe ich sofort ein schlechtes Gewissen. Steckt da nicht eine Portion Sexismus dahinter?

Diese Frau kann argumentieren, sie ist unendlich belesen, schlagfertig und fast schmerzhaft klug. Wer möchte nicht mit ihr über Gott und die Welt diskutieren? Vor allem hat sie auch zu allen Problemen der Welt eine komplexe Meinung. Interessant. Sehr interessant.

Und sie hat, ’tschuldigung, lange, weibliche Haare. Und ihre Augen. Da ist Leben drin! Was für eine Frau! Das Leben ist wirklich weiblich! Ein Abend mit ihr. Und das Jahr ist gerettet.

In dieser Geschichte in der neuen Weltwoche spricht die zweihundertprozentige Frau darüber, wie sie eine ukrainische Mutter mit zwei Kindern zu Beginn des Krieges in ihrer Wohnung aufgenommen hat. Und wie diese Frau sie total auf die Welt gebracht hat, als sie über eine andere Frau in ihrer Situation sprach, die von einem Millionär eine Luxusvilla mit Pool zur Verfügung gestellt bekommen habe.

Für meine Regula Stämpfli, deren aufrichtiger Fan ich war und bleibe, muss es der Schock des Lebens gewesen sein, die pragmatische Lebenssucht im Wesen einer anderen Frau entdecken zu müssen, der sie, der gute Mensch, doch so gerne helfen wollte. Eine Frau mit Mitteln hilft der anderen Frau, die mittellos vom brutalen Leben geprügelt wird.

Nun ist es für mich kein Schock, erkennen zu können, wie weltfremd die akademische und moralisierende Einstellung der Frau Philosophin, Historikerin Regula Stämpfli ist. Es geht ihr gut. Frau, Mutter. Wohnung da und dort und in München. Schweiz. Deutschland.

Willkommen im Kreis der Guten, Klugen und Gebildeten bei jeder Talkshow. Dazu noch so viel Temperament, Leben in den aufgeweckten Augen. Jede Menge Fans wie ich.

Doch wie die von ihr erzählte Geschichte mit gnadenloser Brutalität enthüllt, weiter von der Natur und unserem Leben entfernt, als Mars und Venus es sind. Ein Produkt des politisch korrekten Mainstreams, von eingebildeten Menschen erschaffen, der uns eine Welt vorgaukelt, in der die eigene und alles bestimmende Moral eine Hilfsbereitschaft aus dem Überfluss, Menschlichkeit erzeugt, aus dem Geborgenheit alle brutalen Gesetze der Realität des Lebens ausschalten soll.

Eine Realität, in der Hunger und Flucht, Krieg und Terror, Angst, Not regieren und in allen betroffenen Menschen die Gier nach dem guten Leben zu einem alle edlen Eigenschaften zerfleischenden Hunger hochpeitschen.

Der Mainstream sorgt dafür, dass die Wirklichkeit zum Schock wird. Was würden all die Menschen rund um den Globus sagen, die um das Überleben über Nacht kämpfen, wenn sie uns Politisch-Korrekte hören, wie wir um Feminismus, gegen Rassismus, egalitären Genderismus streiten, uns gegenseitig in komplizierten Sätzen überbieten, die keiner verstehen kann, der nicht das Leben in den langen Jahren der Theorie an der Uni verlernt hat?

Sie würden schreien.

Warum denn keiner sie hört? Ganz einfach. Schreiende lässt man nicht in politisch-korrekte Talkshows.

Nun, die faszinierende Frau Regula Stämpfli scheint, wenn ich das richtig verstanden habe, zum Schluss ihrer Geschichte über ihre ukrainischen Gäste etwas verstanden zu haben. Sie zieht den politisch-korrekten Mantel in ihrem Schock für einen Augenblick aus, zeigt einen Hauch von Verständnis für das Weib aus der Ukraine, das sich nach Villa, Pool und reichem Mann sehnt.

Frau Regula Stämpfli hat für mich mit dieser Geschichte nichts, aber auch gar nichts von ihrem faszinierenden Wesen verloren. Ich werde auch die nächste Talkshow einschalten. Ihretwegen.

Doch lesen Sie selber.