Globi haftet etwas Fabelhaftes an. Der schräge Vogel, neugierig und frech, kann machen, was er will. Jedes Kind mag ihn – egal, ob er scheitert, stolpert, Schabernack treibt, ob er hilft, entdeckt oder erklärt. Globi ist eine Art Harry Potter der Schweizer Kinderliteratur, an dessen Geschichten und Abenteuer sich mancher Erwachsene gerne erinnert. Globi-Bücher und -Hörspiele überdauern Generationen. Mittlerweile sind es neun Dekaden.

Dieses Jahr feiert der Kult-Vogel mit den karierten Hosen seinen 90. Geburtstag, ohne sein Wesen markant verändert zu haben. Was macht Globi zum Kinderstar? Was macht ihn so beliebt, so einzigartig? Globi-Verlagschefin Gisela Klinkenberg, 62, empfängt uns zum Gespräch in ihrem Büro in Zürich, gespickt mit Büchern, Broschüren und Plüschtieren.

Weltwoche: Frau Klinkenberg, die Figur Globi ist nicht nur Kult, sondern feiert in diesem Jahr ihren 90. Geburtstag. Wie erklären Sie sich diesen langanhaltenden Erfolg?

Gisela Klinkenberg: Globi ist eine Marke, schweizweit bekannt, und wird seit Bestehen von Generation zu Generation weitergegeben. Sein Charakter, sein Aussehen, seine Geschichten sind die Grundlagen seines Erfolgs. Zudem sind gute Geschichten und ansprechende Themen eine wichtige Voraussetzung.

Weltwoche: Was unterscheidet ein gutes von einem sehr guten Kinderbuch wie dem Globi-Buch?

Klinkenberg: Entscheidend ist die Geschichte und wie sie erzählt und gezeichnet wird. Es gibt sehr viele gute Bilder- und Kinderbücher, Globi sticht als Serie heraus, durch seine Bekanntheit per se. Auf dieser Basis ist es für ihn einfacher, präsent zu sein und gesehen zu werden.

Weltwoche: Was ist das Ziel der Globi-Bücher? Das Urmotiv?

Klinkenberg: Globi war ursprünglich eine Werbefigur und hat allein seinen Weg zu einer eigenständigen Kinderbuchfigur gemacht. Die Ambitionen waren wohl im Wesentlichen immer die gleichen, sie sind es heute noch: lustige und gute Geschichten zu erzählen, bei denen Kinder nebenbei etwas lernen können, wenn sie möchten. Globi entführt sie in andere Welten, spannende Abenteuer und neue Themen.

Weltwoche: Die Zeit schrieb einst, Kinderbücher sollten einen «moralischen Kompass» vermitteln. Wie gross ist die erzieherische Komponente bei Globi?

Klinkenberg: So ein moralischer Kompass verändert sich stetig. Man muss aufmerksam sein, damit man immer mitbekommt, was sich in der Gesellschaft verändert. Wir möchten, wie schon gesagt, im Wesentlichen gute Geschichten erzählen, die aktuell sind, von Kindern nachvollzogen werden können und niemanden verletzen, verunglimpfen oder beleidigen.

Weltwoche: Geht das überhaupt, ganz ohne Belehrung?

Klinkenberg: Ja, man kann auch etwas vermitteln, ohne zu belehren. Wie das geht, zeigen wir auch in unserer Kindersachbuchreihe «Globi Wissen».

Weltwoche: Wie kommt so ein Buch zustande? Von A bis Z?

«Globi ist ein pfiffiger, schelmischer Erfinder und Abenteurer, neugierig und mutig.»

Klinkenberg: Zuerst geht es darum, ein Thema zu setzen. Das machen wir im Team, also die Illustratoren und Autoren gemeinsam mit mir. Wir beziehen dabei unter anderem Umfragen, die wir regelmässig machen, oder auch Wünsche mit ein. Steht das Thema, besprechen wir, wie wir es angehen, was wir erzählen und umsetzen möchten. Wenn das Drehbuch, das sich daraus ergibt, für alle stimmt, wird ein erstes sogenanntes Skizzenmanuskript erstellt. Auf dieser Basis beginnt der Autor mit den Versen. In der Zwischenzeit werden die Skizzen weiterentwickelt. Kommen die Verse aus dem Lektorat, erstellt unser Grafiker das Layout und fügt Bild mit Text zusammen. Die Reinzeichnungen gehen dann mit den Versen ins Korrektorat. Während all dieser Phasen schauen wir auf Stimmigkeit, Logik und Pointen. Ist alles fertig, integriert unser Grafiker die Korrekturen vom Team und erstellt die Daten für den Druck. Rund einen Monat später wird das Buch dem Handel übergeben.

Weltwoche: Alles ohne Pädagogen und Erziehungswissenschaftler?

Klinkenberg: Ja. Wir beziehen aber immer wieder Kinder, Buchhändlerinnen und Buchhändler, interne Kolleginnen und Kollegen und andere mit ein. Bei Globi ist es relativ einfach, wir wissen, was sich die Kinder wünschen. Und wir wissen sehr gut, wie Globi funktioniert.

Weltwoche: Welche Bücher interessieren am meisten?

Klinkenberg: Kinder lieben Tiergeschichten, Berufe und Abenteuer: Globi bei der Rettungsflugwacht, der Feuerwehr, auf der Pirateninsel oder beim Goldraub. Ebenso mögen sie Globis Aussehen – die karierten Hosen werden oft genannt –, seine Hilfsbereitschaft, den Witz und die Pointen.

Weltwoche: Was für Kinder sind Ihr Zielpublikum?

Klinkenberg: Die Kinder steigen mit zirka drei Jahren ein. Sie kommen aus verschiedensten Schichten und Kulturen. Wenn sie Globi kennenlernen, schliessen sie ihn ins Herz, egal, woher sie kommen. Und sie bleiben bei ihm, bis sie etwa zehn Jahre alt sind. Mir scheint, je städtischer sie wohnen, desto früher steigen sie aus; je ländlicher, desto länger bleiben sie dabei. Die «Globi Wissen»-Bände und seine Kochbücher werden bis zwölf Jahre und älter gelesen und genutzt.

Weltwoche: Welche Ansprechgruppe ist wichtiger: Kinder oder Eltern?

Klinkenberg: Beide, oder besser: alle! Eltern, Grosseltern, Tanten, Onkel, Götti, Gotti – das ist unsere Käuferschaft, die überzeugt sein muss. Globi wird quasi vererbt, er geht von Generation zu Generation und wird im Herzen konserviert. Wer nicht mehr Kind ist, dann aber wieder mit Kindern konfrontiert ist, erinnert sich positiv an Globi.

Weltwoche: Wie gross ist der Realitätsanspruch an die Zeichnungen?

Klinkenberg: Wenn wir ein reales Thema haben, muss es stimmen. Das heisst, Rom muss aussehen wie Rom. Eine Kuh wie eine Kuh. Natürlich immer im Comicstil. Bei fantastischen Themen wie Schlaraffenland oder Märchenreich sind die Illustratoren freier in der Gestaltung.

Weltwoche: Kämen Buben in Röcken zufällig, spielerisch oder ganz bewusst bei Ihnen vor?

Klinkenberg: Wir sind an allem interessierte, offene Menschen, die in der heutigen Zeit leben. Wir nehmen wahr, was sich verändert oder vielfältiger wird. Und das wächst auch in die Geschichten. Was vorkommt, kommt vor. Wir suchen aber nicht nach Ausgefallenheit.

«Wenn sie Globi kennenlernen, schliessen sie ihn ins Herz, egal, woher sie kommen.»

Weltwoche: Käme es in Frage, die Verse mit Gendersternchen zu verzieren?

Klinkenberg: Das brauchen wir nicht. In den Texten haben die Menschen entweder Namen, oder dann steht Frau, Mann, Junge, Mädchen. Die Personen werden gezeichnet, wie sie sind.

Weltwoche: Wie heikel sind Globis Geschichten in der hyperkorrekten Welt heute? Wann wird das Eis dünn, und Gegenwind zieht auf?

Klinkenberg: Globi hat eine lange Geschichte. Es gibt Globi-Bücher seit den dreissiger Jahren. Viele dieser Inhalte sind nicht mehr zeitgemäss. Wichtig ist uns allen seit vielen Jahren, dass in unseren Büchern keine Minderheiten, Ethnien, Religionen oder Ähnliches verunglimpft werden.

Weltwoche: Wie sehr beschäftigen Altlasten, was heute nicht mehr geht, Ihren Alltag?

Klinkenberg: Wie erwähnt, die meisten Globi-Bücher aus den dreissiger bis zu den sechziger Jahren sind nicht mehr lieferbar und seit Jahrzehnten vergriffen. Wenn wir aber ältere Titel neu auflegen, wie etwa das «Rösslein Hü», ein anderes Kinderbuch von 1950, das auch in unserem Verlag erscheint, lassen wir den Text komplett neu lektorieren, weil die Sprache verstaubt ist, sich Werte verändert haben, Inhalte nicht mehr zeitgemäss sind und damit für Kinder von heute nicht mehr verständlich.

Weltwoche: Globi wurde in den Siebzigern als «autoritärer Charakter» beschrieben. Was ist er heute?

Klinkenberg: Ein pfiffiger, schelmischer Erfinder und Abenteurer, neugierig und mutig, mit Entdeckergeist. Einer, der ehrlich, authentisch und nachvollziehbar ist. Am besten fragen Sie die Kinder selber!

Weltwoche: Kritiker sagen, Globi sei über die Jahre staatsnah geworden, der «Anarcho-Globi» sei verlorengegangen. Wie sehen Sie das?

Klinkenberg: Vielleicht war er gar nie so «anarcho»? Staatsnah ist interessant, das habe ich noch nie gehört. Wir arbeiten ab und an mit Institutionen, die für die Schweiz und ihre Bewohnerinnen und Bewohner relevant sind. Die Kinder interessieren sich zum Beispiel für die Feuerwehr, die Polizei, die Bahn, den Flughafen, die Rega. Da arbeiten oft auch die Eltern. Globi macht den Blick hinter die Kulissen möglich. Daneben erlebt er auch viele Abenteuer in Fantasiewelten, im Weltraum, im Ausland, er war auf Weltreise, als in unseren Breitengraden noch niemand eine gemacht hat, er besuchte Venedig, Rom, Paris, Istanbul, reiste durch die Alpenländer, entdeckte das alte China, war immer wieder in historischen Settings.

Weltwoche: Was gefällt Ihnen am besten an Globi?

Klinkenberg: Mich fasziniert, dass er so beliebt ist. Er hat fast schon Superstarstatus. Ich mag seine klare Farbgebung, seine Charaktereigenschaften, das Pfiffige, den Erfindergeist, in der Wirtschaft würde man sagen, seine Lösungsorientiertheit. Und natürlich: das Draufgängerische. Ich staune immer wieder über seine Wirkung. Man kann mit fast jeder Person in der Schweiz über Globi reden. Die meisten haben ihn gern.

Weltwoche: Welches ist Ihr Lieblingsbuch?

Klinkenberg: Es gibt ein paar. Besonders gelungen finde ich «Globi auf der Alp», «Globi auf der Pirateninsel», «Globi in der Schule». Von den alten Bänden ist es «Globis Abenteuer auf dem Meeresgrund», ich mag den Schmiss, den der erste Illustrator hatte.

Weltwoche: Wie sehen Sie die Zukunft dieses Schweizer Kultbuches?

Klinkenberg: Wir haben noch viele Ideen, und alle, die mit Globi arbeiten, sind hochmotiviert und superprofessionell. Ich tippe darauf, dass der Kerl eine glänzende Zukunft vor sich hat. Bis 2026 kenne ich sie schon.