Haben Sie sich auch schon gefragt, wohin das alles gehen soll? Ob bei der Pandemie, beim russischen Angriffskrieg oder bei der aktuellen Bankenkrise: Die Schweiz kämpft mit nationalen Krisen und kommt bei globalen Ereignissen nicht einfach ungeschoren davon. Unsere traditionsreiche Credit Suisse geriet zuletzt in existenzielle Nöte und musste innert kürzester Zeit von der UBS gerettet werden. Wohin also, liebe Schweiz, bei all diesen Krisen?
In meiner parlamentarischen Arbeit in Bern merke ich immer wieder: Der Dialog kommt zu kurz. Im Rat werden vorbereitete Statements abgelesen, um die eigene (Partei-)Meinung möglichst präzise kundzutun. In den Kommissionssitzungen wird nicht um das Wesentliche verhandelt, sondern um kleine Details gestritten. Das ist nicht falsch, aber dabei kommt etwas Urschweizerisches zu kurz: der Dialog.
Wir sollten unsere unternehmerischen Erfolge in die ganze Welt exportieren.Gefährliche Einwegkommunikation
Das war der Hauptgrund, weshalb ich mich entschieden habe, zusammen mit Esther Girsberger ein Buch mit dem Titel «Wohin, liebe Schweiz?» herauszugeben. Das Buch umfasst zwölf Gespräche von jeweils zwei Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft zu drängenden Zukunftsfragen. Der Dialog dieser Persönlichkeiten, die durchaus verschiedene Ansichten vertreten, aber gemeinsam die Schweiz voranbringen wollen, macht das Buch so spannend. Ein Gesprächsbuch ist insofern atypisch für meine Generation, weil diese vor allem in den sozialen Medien die «Einwegkommunikation» praktiziert. Doch das ist gefährlich. Denn Neues lernt man nur, wenn man zuhört – sich auf einen Dialog einlässt.
Gerade die dramatischen Entwicklungen der letzten Monate haben mir deutlich gemacht, dass die Schweiz an ihrer Widerstandsfähigkeit arbeiten muss. Wenn es uns besser gelingt, unsere innenpolitischen Hausaufgaben zu erledigen, dann sind wir für Entwicklungen von aussen, auf die wir nicht direkt Einfluss nehmen können, besser gewappnet. Doch in der politischen Schweiz fehlt es an echten Dialogen über die grossen Herausforderungen. Einen Teil dieser Lücke soll das druckfrische Buch schliessen.
Es ist alles andere als selbstverständlich, dass wir in einer liberalen Demokratie leben. Genauer gesagt: Nur jeder achte Mensch auf der Welt lebt in einer liberalen Demokratie. Unsere christlich-abendländisch geprägten freiheitlichen Grundwerte müssen also immer aufs Neue verteidigt werden. Ansonsten droht sich die antiliberale, teils freiheitsfeindliche Mehrheit durchzusetzen.
Umso erfreulicher ist es, dass man in jedem der zwölf Gespräche verschiedene Denkanstösse findet, die trotz unterschiedlicher Ausgangslage auch zu einem Konsens führen – auch wenn sich die Gesprächspartner oft nicht von Beginn an einig waren, was beispielsweise beim Unternehmer Peter Spuhler und beim Gewerkschafter Daniel Lampart nicht erstaunlich ist.
Was habe ich bei der Lektüre des Buches gelernt?
Ein liberaler Ansatz in der Bildungs- und Medienpolitik _ Wie wäre es, wenn unsere staatlich finanzierten Bildungs- und Medieninstitutionen mehr in den Wettbewerb zueinander treten würden, indem Bürgerinnen und Bürger Bildungs- und Mediengutscheine zur freien Verfügung, und finanziert über beispielsweise die Hälfte der Serafe-Gebühr, erhielten? Ich bin mir sicher: Dies würde die dominierende SRG herausfordern und die privaten Medien stärken, regional wie national.
Bessere Zusammenarbeit mit Staaten, die unsere Werte teilen _ Man war sich einig, dass die Schweiz besser und intensiver mit unseren ausländischen Partnern zusammenarbeiten muss. Namentlich mit den Staaten, die unsere Werte teilen. Bei einer Bundesratswahl soll nicht nur entscheiden, wer den besten Draht zum Gewerbeverband hat, sondern auch, wer gute Kontakte ins Ausland pflegt. Schweizer Anliegen wie hohe Löhne, eine grosse Eigenständigkeit und nachhaltiges Wachstum können wir nur durchsetzen, wenn wir dafür Verständnis schaffen. Eine bessere Vernetzung ist entscheidend, um unsere Schweizer Anliegen stärker zu vertreten.
Mehr Verständnis für Schweizer Unternehmen _ Die Schweizer Unternehmen – vom Handwerksbetrieb bis zum Grossunternehmen – sind die Katalysatoren unseres Wohlstands. Diese sind auf gutausgebildete Arbeitskräfte aus dem In- und Ausland angewiesen, weshalb wir stabile Beziehungen zum Ausland benötigen. Nichtsdestotrotz sind sich Bundesrätin Karin Keller-Sutter und Thomas Straubhaar zum Thema Migration einig, dass es kein Recht auf Zuwanderung geben darf und die Armut am besten so bekämpft wird, dass die Maschine zum Menschen geht und nicht umgekehrt. Wir sollten unsere unternehmerischen Erfolge in die ganze Welt exportieren.
Mit Technologieoffenheit für eine sichere Energieversorgung _ Die Gesprächspartner zu diesem Thema, Aline Trede und Nils Planzer, sind sich einig: Die Schweiz macht noch zu wenig für eine sichere und nachhaltige Energieversorgung. Wie also holen wir diesen Rückstand auf? Eine im Buch diskutierte Lösung: Technologieoffenheit in der Energieversorgung mit gleichzeitiger konsequenter und verursachergerechter Bepreisung der Mobilität und des CO2-Verbrauchs.
Für die kommende Wahlkampfzeit wünsche ich mir, dass vermehrt auf einen konstruktiven Dialog und Lösungen für die Schweiz gesetzt wird und weniger polemische Schlagabtausche im Zentrum stehen.
Andri Silberschmidt, Esther Girsberger (Hrsg): Wohin, liebe Schweiz? 12 Gespräche mit inspirierenden Persönlichkeiten. NZZ Libro. 200 S., Fr. 29.–
Andri Silberschmidt ist Zürcher Nationalrat und Vizepräsident der FDP.
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