Es ist sogar die Umkehrung des Wildwest-Justiz-Prinzips: Zuerst hängt sie auf, dann gebt ihnen einen fairen Prozess.

Noch kein Schweizer Banker war so lange in Untersuchungshaft wie der gefallene Raiffeisen-Star Pierin Vincenz. Obwohl es andere mehr verdient hätten. Kein Schweizer Banker hat so Wertschöpfung für sein Geldhaus betrieben. Keiner wurde massiver vorverurteilt.
Als sei das nicht strafbar, wurde unter Verletzung von Amts- und Geschäftsgeheimnis eine Flut von kompromittierenden Dokumenten veröffentlicht. Selbst die 368 Seiten umfassende Anklage war schneller in den Medien als per Post bei den Anwälten.

Mehr als vier Jahre dauerte es von der spektakulären Verhaftung bis zum ersten Urteil. Genug Zeit, um Ruf, Lebenswerk, Privatleben und die finanziellen Verhältnisse der beiden Hauptangeklagten nachhaltig zu vernichten.
Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass sich Vincenz nicht nur durch Spesenabrechnungen aus dem Rotlichtmilieu bereichert hat, sondern auch durch versteckte Investitionen in Firmen, die anschliessend von Raiffeisen aufgekauft wurden.
Lange Zeit sah es so aus, als ob der Staatsanwalt auch diesen Prozess verlieren und sein ewiger Opponent, Starverteidiger Lorenz Erni, gewinnen würde. Aber es bestätigte sich einmal mehr: Wer länger in U-Haft schmort, wird meist verurteilt. Damit ist diese Justiz-Odyssee keineswegs beendet. Natürlich geht’s ans Obergericht, wohl auch ans Bundesgericht. Das wird mehrere Jahre dauern.

Es gilt weiterhin die Unschuldsvermutung. Selten war das ein so zynischer Witz.