Was macht ein Schweizer Aussenminister im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen? Genau, er steht auf und setzt sich wieder hin. Zusammen mit allen anderen. Wie ein folgsamer Schuljunge.

Es herrscht Krieg. Und da haben Besonnenheit und Weitsicht bekanntlich einen schweren Stand. Selbst im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bestimmen Claqueure den Lauf der Dinge.

Mit einer Schweigeminute gedachte man dort der Ukrainerinnen und Ukrainer, die seit dem Angriff durch Russland im vergangenen Jahr umgekommen sind. Alle Mitglieder der Runde erhoben sich, setzten ernste Gesichter auf und setzten sich danach wieder. Auch der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis.

Dann ergriff der russische Botschafter Wassili Nebensja das Wort und forderte eine weitere Schweigeminute für die russischen Opfer ukrainischer Übergriffe seit 2014. Schliesslich seien alle Menschenleben gleich viel Wert. Er erhob sich, seine Delegation folgte, der Rest blieb, natürlich, sitzen.

Nebensjas Sitznachbar, der schein-neutrale Cassis, wäre am liebsten im Boden versunken. Er musste rasch entscheiden. Und weder Blick noch Tages-Anzeiger waren zur Stelle, um ihm den Entschluss abzunehmen.

Es sah zunächst aus, als wollte Cassis der russischen Provokation standhaft trotzen, dann erhob er sich allerdings schleunigst, als sich einer nach dem anderen im Saal erhob.

Cassis knöpfte seinen Veston zu und setzte eine ernste Miene auf. Dann setzte er sich wieder. Wie alle anderen auch.

Der Punkt ging an Wassili Nebensja. Und Ignazio Cassis ist wahrlich kein Winkelried.