Es hört nicht mehr auf. Seit bekannt wurde, dass die Schweizer Reggae-Band Lauwarm ein Konzert in Bern nicht zu Ende spielen durfte, weil sich gewisse Zuhörer unwohl fühlten, diskutiert sich die Schweiz wund über «kulturelle Aneignung.

Eine solche Diskussion in einem Land, das nur schon sprachlich betrachtet besonders vielfältig ist, fühlt sich künstlich an. Die Schweiz ist in mancherlei Hinsicht ein Schmelztiegel der Kulturen. In einem Drittel der neu geschlossenen Ehen sind Mann und Frau unterschiedlicher Herkunft.

Marc Sway, der Zürcher Sänger mit der rauchigen Soulstimme, ist halb Schweizer und halb Brasilianer. Seiner Meinung nach versucht man mit dem Vorwurf der kulturellen Aneignung etwas polemisch-politisch heiss zu kochen.

«Ich finde es grundsätzlich gut, wenn wir uns nicht davor scheuen, Themen öffentlich zu diskutieren. Dennoch ist es nicht verhältnismässig, ein Konzert abzubrechen, nur weil ein paar wenige reklamierten, die sich bis heute noch nicht öffentlich dazu bekannten.»

Sway findet, wenn man diese Situation auf ein Fussballspiel übertrüge, das wegen Reaktionen auf der Tribüne abgebrochen werden soll, müsse man doch einsehen, wie übertrieben das Ganze sei.

Er könne dennoch nicht leugnen, dass Musikstile respektlos angeeignet und in der Folge kommerzialisiert worden seien. Das müsse man aber immer wieder im Zusammenhang mit dem Neuentstandenen abwägen. Die Musik werde dadurch bereichert.

«In der aktuellen Diskussion gibt es kein Barometer, das bestimmt, wo die kulturelle Aneignung beginnt und wo die künstlerische Freiheit aufhört. Diese Balance wird erschwert, weil man sich zu kopflastig damit auseinandersetzt. Will man denn eine Kulturpolizei einführen, die bestimmt, was zulässig ist oder nicht?», wundert sich Sway.

Bob Marley, jamaikanische Reggae-Ikone, stammte auch aus einer gemischten Ehe zwischen einer jamaikanischen Sängerin und einem englischen Hauptmann.

Sway beschreibt Marleys Musik als Mischung aus dem Root-Reggae und der damaligen Pop-Musik: «Es gibt Elemente in Bob Marleys Musik, die man im Roots-Reggae nicht gekannt hat. Reggae ohne Bob Marley wäre ein kompletter kultureller Verlust. Reggae stünde niemals da, wo er jetzt ist.»

Nicht nur der Reggae bliebe unvollständig, der brasilianische Bossa Nova gäbe es nach der Logik der «kulturellen Aneignung» gar nicht mehr. Bossa Nova ist eine Mischung aus Samba, der afrikanisch geprägt ist, und dem amerikanischen Jazz. Ein Musikstil, der in intellektuellen Kreisen entstanden ist und weltbekannt wurde.

«Am Ende hat der musikalische Kulturmix mehr Leute zusammengebracht als gespaltet. Ich kann überall auf der Welt meine Gitarre auspacken und für beliebige Leute spielen. Keiner sagt mir, dass ich ihm etwas wegnehme. Im Gegenteil, man fühlt sich inkludiert. Deswegen sehe ich mich als Kosmopolit. Meine Sprache ist Musik.»

Marc Sway bedauert, dass die Leute, welche die aktuelle Diskussion anführen, keine Musiker sind: «Sie denken die Musik, statt sie mit dem Herzen zu hören. Musik ist etwas Magisches, Verbindendes. Diese Elemente gehen verloren, wenn man sie verkopft.»