Written in Their Soul: The Stax Songwriter Demos. 7 CDs. Concord

Es gibt Neuerscheinungen, die ihren Wert erst allmählich offenbaren. So gibt es auch auf «Written In Their Soul» keinerlei Hinweise, dass sich hinter der Sieben-CD-Sammlung mit Stax-Songwriter-Demos ein Schatz von ungeahntem Wert verbergen würde. Schon mal von Jeanne & The Darlings gehört? Wer ist Bettye Crutcher? Mack Rice? Wer kennt Homer Banks oder Henderson Thigpen?

Immerhin finden sich auch Namen wie Carla Thomas (die Tochter von Rufus) und auch Eddie Floyd (klar: «Knock On Wood») zwischen den Unbekannten, aber wer sich an Stars und Legenden orientiert, könnte das schön gestaltete, aber eher unauffällige Package von Stax glatt übersehen. Es wäre eine geradezu tragische Gedankenlosigkeit.

Denn was die Produzentin Cheryl Pawelski in über zehnjähriger Sisyphusarbeit aus den Archiven verschiedener Plattenfirmen mühevoll zusammengetragen hat, kommt der Entdeckung eines verschollenen Kontinents gleich. Die liebevoll restaurierten 146 Trouvaillen aus den späten 1960er Jahren beeindrucken nicht durch smartes Gespür für Zielgruppen und clevere Arrangements. «Written In Their Soul» bedeutet: Die hier präsentierten Lieder wurden damals mit Herzblut geschrieben und zum grössten Teil auch selbst von den im Hause Stax beschäftigten Staff-Songwritern oder weniger berühmten Solistinnen und Ensembles eingesungen.

«Insel der Farbenblindheit»

Anschliessend lancierten die Stax-Oberen die noch ofenwarmen Nummern umgehend an Stars wie The Staple Singers, Johnnie Taylor und Carla Thomas – gelegentlich griffen auch Grössen anderer Labels wie etwa Aretha Franklin («Without You»), Wilson Pickett («634-5789») oder auch Eric Clapton («I’ve Told You For The Last Time») zu.

Es war 1957, als der Bankangestellte und leidenschaftliche Fiddle-Spieler Jim Stewart seine Schwester Estelle Axton bat, eine Hypothek auf ihr Haus aufzunehmen, damit er sich für 2500 Dollar eine Ampex-Model-300-Tape-Machine leisten konnte (kostet heute um die 40 000 Franken), um die Musik, die ihm unterkam, produzieren zu können. Bald gründeten er und Estelle in einem alten Kino das Label Stax (die beiden ersten Anfangsbuchstaben ihrer Nachnamen), und mitten im Rassentrennungswahn von Memphis boomte die junge Firma des eigentlich ahnungslosen Geschwisterpaars.

Estelle hatte, quasi als Treffpunkt mit Empfangs-Lounge, einen Plattenladen eröffnet, und die Firma wurde, so der Gitarrist Steve Cropper, zu einer «Insel der Farbenblindheit». Wie durch Zufall gründeten Cropper und der Bassist Donald «Duck» Dunn zusammen mit dem Organisten Booker T. Jones und dem Drummer Al Jackson jr. das gemischtfarbige Quartett Booker T. and The M.G.’s («Glass Onion») – und Stax hatte eine Hausband nebst einem hochkarätigen Songwriter-Team. Für «Rassen» interessierte sich bei Stax kein Mensch.

Die ungeschliffene Direktheit ist einer der Gründe, warum diese Sammlung so unter die Haut geht.Das Label der Geschwister wurde bald zu einer festen Grösse für «Rhythm and Blues» (ein Etikett, das Jim Stewart für sein Repertoire erfunden hatte). Doch die Macher im Hintergrund blieben weitgehend anonym. Wie zum Beispiel die Krankenschwester Bettye Crutcher, die nebenbei Kinderbücher schrieb, nach ihrem Dienst in der Klinik zu Hause die Kinder versorgte, um dann schliesslich bei Stax dem Team Spaghetti zu servieren – denn beim Essen liessen sich die Herren der Schöpfung am besten von Crutchers Songs überzeugen, die sie nächtens zu Hause (während die Sauce für den nächsten Tag leise vor sich hin köchelte) geschrieben hatte. Bettye, die Songs für Carla Thomas, Billy Eckstine und die Staple Singers schrieb, gehörte zu den Stützen von Stax und war selbst eine fantastische Sängerin.

Ein Track wie etwa «The Yard Man», geschrieben von Bettye Crutcher, Mack Rice und Arris Wheaton (einem grandiosen, aber nahezu unbekannten Jazz-Saxofonisten, der nebenbei Werbe-Jingles fabrizierte), wurde – kaum zu fassen – nie veröffentlicht! Und wäre doch bestens in der Nachbarschaft eines Bill Withers oder Marvin Gaye aufgehoben. Zu entdecken sind unbekannte Giganten wie etwa Deanie Parks (die später die Abteilung Public Affairs bei Stax leiten sollte, weil sie sich den Karrierestress nicht antun wollte), eine Sängerin, deren Songs eigentlich unverzichtbar wären.

Dass hier hinter jeder dieser tatsächlich «ungeschminkten» Aufnahmen nicht gewiefte Hochglanzperfektion, sondern vielmehr blitzend ungeschliffene Direktheit zu erleben ist, ist nur einer der Gründe, warum diese Sammlung so unter die Haut geht – allein die Riffs und Grooves, die hier im Überfluss präsentiert werden, sind echter Stoff für Suchtgefährdete. Im Wortsinn: soul music.