Diesen Winter läuft es mit Glühwein ganz schlecht. Alle Weihnachtsmärkte sind wegen Corona abgesagt. Verständlich, weil sich die Leute da näher kommen. Das ist tragisch für alle, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen. Im Sommer liefen die Bestellungen noch ganz normal. Aber jetzt bleiben wir auf allem sitzen. Unsere Lager sind voll mit rotem und weissem Glühwein, aber auch mit alkoholfreien Heissgetränken wie Punsch oder Glühmost.

Mein Glühweinabenteuer begann ich vor rund zwanzig Jahren als frühpensionierter Unternehmensberater. Gelernt habe ich ursprünglich Reproduktionsfotograf, wie Polo Hofer. Meine damalige Freundin verkaufte ihre schönen Adventskränze auf den Weihnachtsmärkten. Ich begleitete sie und merkte bald: Gopfertori, die Einzigen, die hier nicht umsonst frieren, sind die Glühweinverkäufer. Marktorganisatoren quersubventionieren mit Glühwein die Infrastruktur des Marktes.

So versuchte ich also, ein Glühweinkonzentrat herzustellen. Ich fragte bei Lebensmitteltechnologen um Rat und pröbelte dann munter drauflos. Das Produkt kochte ich erst auf dem Kochherd, und bald, weil mein Glühwein so beliebt war, musste eine Werkstatt her. Mein Filius beherbergte mich in seiner Apotheke, bis es dann so viel wurde, dass ich einen spezialisierten Hersteller beauftragen musste.

 

Freiheit im Sommer

Das «Glögg»-Konzentrat ist unser Starprodukt. Es besteht aus Zuckersirup und verschiedenen Gewürzen wie Zimt, Anis sowie vielen weiteren Zutaten. Das Spezialrezept verrate ich nicht, aber es macht unseren Glühwein einfach feiner als andere. Er schmeckt allen, ob auf den grossen Märkten in Bern oder den kleineren in Uster. Wir liefern auch ins Fürstentum Liechtenstein und für Privatpartys oder Firmenevents.

Für unsere Glühweine mischen wir einen Rotwein aus der Toscana in 500-Liter-Tanks mit dem Konzentrat und pasteurisieren dann sorgfältig. Es muss ein reeller, guter Tischwein sein. Ein undefiniertes Weingemisch ergäbe Kopfweh. Ein teurer Château-Wein ist jedoch nicht nötig, weil die Gewürze die feinen Weinaromen überdecken. Ein Becher Glühwein kostet uns in der Herstellung rund achtzig Rappen, und auf dem Markt gibt es dafür fünf bis sieben Franken. An einem Wochenendtag bringt das viel Geld in die Kasse, ausser es regnet.

Wir verkauften während zehn Jahren auf dem Winterthurer Weihnachtsmarkt Glühwein. Die Begeisterung der Menschen für einen guten Glühwein ist mir eine Riesenfreude. Schön ist auch, dass wir ausschliesslich selber hergestellte Produkte verkaufen. Wir sind unabhängig. Marktfahren und Glühwein-Catering wurde uns aber zu stressig, heute produzieren wir nur noch. Das ist ideal: Im Sommer läuft wenig, und wir geniessen die Freiheit, wie andere Pensionierte auch. Wir verreisen gerne mit unserem Mercedes-Büsli, das wir im Winter als Lieferwagen brauchen. Am liebsten nach Vals in die Berge, oder wir fahren durch Italien und campieren unterwegs. Neapel ist meine Lieblingsstadt. Da ist echte Italianità zu Hause.

Selber trinke ich gerne Glühwein, ich muss ja die Qualitätskontrolle machen. Am besten schmeckt er mir leicht aufgemotzt, etwa mit unserem geschmacksneutralen Wodka. Wir produzieren daneben noch andere Spezialitäten wie Röteli, Liköre, Sambal Oelek oder Konfitüre. Wir wissen, dass das wirtschaftlich keinen Sinn macht, wir spinnen ein bisschen. Vor drei Jahren kam noch Rosy’s Gin dazu, das Lieblingsgetränk in unserer Familie. Gin ist besonders gut in weissem Glühwein. Mein Schatz nennt diesen Drink dann «Schneekönigin».

 

Aufgezeichnet von Roman Zeller

Dieser Text erschien erstmals am 10. Dezember 2020.