Das ukrainische Kernkraftwerk Saporischschja gehört derzeit zu den gefährlichsten Orten Europas.

Es liegt genau an der Frontlinie im Südosten der Ukraine und wurde im März von der russischen Armee erobert.

Seine sechs Atomreaktoren stehen am Fluss Dnjepr. Ukrainische Truppen kontrollieren heute nur noch dessen Nordufer, während die russischen die gegenüberliegende Seite beherrschen, also auch das Kernkraftwerk.

Jeden Tag bombardieren sich beide Seiten gegenseitig.

Das Kernkraftwerk ist zwar von einer mit Stacheldraht bedeckten Mauer umgeben. Aber was nützt sie gegen die Raketenangriffe, die wir erleben?

Zudem hat Saporischschja ein Personalproblem: «Vor dem Krieg arbeiteten hier etwa 11.000 Menschen», sagt uns Alexandr Volga, der von den Russen ernannte Bürgermeister von Enerhodar, einer russisch kontrollierten Stadt mit knapp 55.000 Einwohnern. «Von den 11.000 AKW-Angestellten sind nur 9000 geblieben.»

Er herrsche ein Klima der Angst.

Erst gestern seien zwei Mitarbeiter von russischen Spezialeinheiten festgenommen worden, weil sie angeblich geheime Informationen an die ukrainischen Behörden weitergegeben haben.

Das ukrainische Kernkraftwerk wird heute überwiegend von der russischen Staatsagentur für Atomenergie (Rosatom) betrieben. Die ukrainische Energoatom hat nur noch wenige Kompetenzen.

Die Internationale Atomenergie-Organisation vermittelt zwischen den beiden Seiten, um eine Eskalation zu verhindern. Doch Bürgermeister Volga ist skeptisch.

Während er uns ein beschädigtes Gebäude neben dem Reaktor Nummer eins zeigt, sagt er: «Vor zwei Tagen sind hier Mörsergranaten der Ukrainer eingeschlagen.» Das sei tägliche Routine.

«Und», fügt er an, «wenn das nicht aufhört, riskieren wir ein zweites Tschernobyl.»