Die postchristliche Gesellschaft ist nicht weniger religiös geworden, sondern kennt Ersatzreligionen, zum Beispiel den Glauben an Erlösung durch Gesundheit. Oder den Glauben an Selbstverwirklichung durch Selbstoptimierung. Der Klimaaktivismus hat ebenfalls religiöse Züge, wenn Protestgruppen in Endzeitstimmung verfallen und Politiker diese Stimmung für ihre Zwecke nutzen. Medien machen mit und präsentieren dem Publikum Umweltapostel, die für die Rettung der Welt Kunstwerke zerstören, sich auf Strassen festkleben und die Menschheit zur Umkehr bewegen wollen, zur Abkehr vom konsumistischen westlichen Lebensstil.
Ein zentrales Dogma vieler Aktivisten lautet: «Seit der Industrialisierung zerstört der Mensch das Klima, deswegen müssen Regierungen, Konzerne und Bürger zum grünen Handeln gezwungen werden.» Der Protest richtet sich gegen das westliche System, obwohl dieses im Vergleich mit dem Rest der Welt nicht nur die besten Umweltstandards hat, sondern auch in Sachen Menschenrechte und Tierschutz besser abschneidet.
Klimaaktivisten wie die «Letzte Generation» oder «Extinction Rebellion» halten den Klimawandel für eine Erbsünde des Kapitalismus. Daraus resultiert die Forderung nach dem Systemwechsel, nach dem Ende freiheitlicher Lebensmodelle. Nun ist unbestritten, dass der Mensch den Klimawandel beeinflusst, so wie wir die Natur seit vielen Jahren schlecht behandeln. Es hilft aber nicht weiter, wenn Aktivisten China, Indien oder Russland vergessen und den Kapitalismus anklagen.
Planet ohne Menschen?
Es hilft auch nicht, wenn man die non-human perspective einnimmt. Das heisst: wenn man die Auswirkungen der Menschheit auf die Umwelt nach dem utopischen Ideal einer Umwelt ohne Menschen und Maschinen beurteilt. Wenn man also nicht fragt: Wie viele Jobs, wie viel Gesundheit und Schutz gegen Kälte und Sturm bringen geheizte Häuser in Entwicklungsländern? Wie viele Millionen von Leben werden gerettet, wie viel Grundversorgung und Sicherheit geleistet durch die Energiewirtschaft seit der industriellen Revolution? Wie gross ist der medizinische Fortschritt seit Beginn der Chemieindustrie?
Das alles scheint nicht zu interessieren, wenn man nur fragt: Wie wäre es, wenn all diese Techniken und Umweltbelastungen nicht wären? Letztlich: Können wir nicht so leben, als wären wir gar nicht da, damit der Planet seine Ruhe hat? Man will Zumutungen realmenschlicher Zivilisation ganz eliminieren.
Ich fliege selten. Ich besitze kein Auto und pendle seit zwanzig Jahren mit dem Zug. Ich betrachte mit Sorge unsere verkehrsverstopften Metropolen. Am liebsten hätte ich überall Fussgängerzonen und betrachte unsere Wegwerfkultur als zivilisatorisches Armutszeugnis. In diesen Fragen bin ich ein Grüner. Aber ich kann den religiösen Eifer nicht nachvollziehen, mit dem politische Gruppen die Klimadiskussion dominieren, um Andersdenkende als Klimaleugner oder schlechte Menschen zu diffamieren. Das verhindert eine offene Debatte, die wir brauchen, um gute Lösungen zu finden.
Die Sorge um die Umwelt sowie die Entwicklung des Weltklimas sind zu wichtig, um sie totalitären Apokalyptikern und Angstmachern zu überlassen. Gerade heute brauchen wir nicht noch mehr Pessimismus, sondern wieder den Optimismus der Aufklärung. Die Aufklärer haben an den Menschen geglaubt, an die Kraft seines Verstandes und seiner Fähigkeit, herauszutreten aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit.
Sie haben an Freiheit und Kreativität geglaubt, wichtige kulturelle Kräfte, um auch grosse Probleme zu lösen.
Giuseppe Gracia ist Schriftsteller und Kommunikationsberater. Sein neuer Roman «Schwarzer Winter» (Fontis-Verlag, 2023) handelt von terroristischen Klimaaktivisten.
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Klimakleber: Schlecht erzogene, unreife, aber wichtigtuerische und sehr geltungsbedürftige junge Menschen, wollen ihren Willen der gesamten Menschheit aufzwingen. Jeder wohl eine Art kleiner Diktator, oder, um zu gendern, Diktatorin. Aber die Tonangebenden in Staat & Gesellschaft & Medien kitisieren das nicht, wollen das nicht problematisieren, sondern wollen sie beschwichtigen, und gewähren ihnen Respekt und Ehre und Nachsicht und Welpenschutz.
Henryk M.Broder hatte Recht, als er Deutschland als grösste Freiluft-Psychiatrie bezeichnete. Ich hätte einen Vorschlag, wie man das Problem der 'Letzten Generation' lösen könnte, auch einen, um das Schlepper-Unwesen im Mittelmeer zu beenden; beide würden aber hier nicht durch die Moderation gehen.
Die jungen Kleber sind doch bezahlte Aktionisten. Im Grunde Leute, die nicht wissen, was sie tun sollen, nach dem Motto: " ich würde so gerne, ich weiß nur noch nicht was....."
Da sie nichts köennen ist so als Hilfsjob als angeklebeter Mensch mit Bezahlung eine tolle Möglichkeit für diese letzte Generation. Allerdings müssen sich sich noch korrekt benennen: Die Generation, die das Letzte ist.
Habeck kann sich nicht genug an den Klima-Irren mit ihrem terroristischen Aktionen erfreuen. Oder weswegen verkündete er öffentlich,dass er diese Klima-Sekten bewundert?Herr Gracia,Ihr Buch handelt von terroristischen Klima"Aktivisten".Weswegen schreiben Sie diesen Artikel dann so"zart/weich"u.bezeichnen diese Irren als"Aktivisten",ohne terroristische?Persönlich hätte ich die Kontrolle über mein Leben verloren,würde ich mit den Bildungsfernen, meist Sozialleistungs- Empfängern in Kontakt treten.
Man kann Klimakleber und Co. trefflich kritisieren und ihnen u. a. Rationalität verordnen.
Obwohl - angesichts einer Regierung, deren Hauptbeitrag zur "Dekarbonisierung" (zugleich die Hauptforderung der Klimakleber!) Darin besteht, Kernkraftwerke vom Netz zu nehmen, und Kohledreckschleudern anzufahren, frage ich mich, ob es nicht schon fast unanständig ist, von den jungen Leuten mehr Rationalität zu verlangen, als die Regierung zu haben scheint.
Ich habe mich Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts auch gefragt, ob ich wohl noch die Jahrtausendwende erleben werde. Jetzt liegt sie schon 22 Jahre hinter mir.
Und wo sollte der Optimismus her kommen? Die derzeitigen Verhältnisse sind sicher nicht dazu angetan, so etwas wie Optimismus zu verbreiten.