Nach dem Schriftsteller Salman Rushdie hat sich nun auch die Bestseller-Autorin Donna Leon (80) besorgt über Zensur im weltweiten Literaturbetrieb geäussert. «Wir leben jetzt in einer Welt, in der man nichts schreiben darf, was Leser kränkt, überrascht, verletzt, verstört oder in irgendeiner anderen Weise Empfindlichkeiten berührt», sagte sie in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ).

Die Amerikanerin, die mit ihren Venedig-Krimis um Commissario Brunetti Weltruhm erlangte, nannte eine solche Beschränkung des Schreibens eine Form von Zensur.

Leon kritisierte zudem die Praxis, klassische Werke wie «Pippi Langstrumpf» zu überarbeiten, um rassistische Begriffe zu entfernen. Sie verglich diese Vorgehensweise mit der Geschichtsklitterung des Kommunismus und zog Parallelen zu den Retuschen von Fotos während der kommunistischen Herrschaft in der Sowjetunion. Dabei würden im Namen von Werten und Moral die Vergangenheit und ihre Werke verändert.

Stattdessen plädierte die Schriftstellerin dafür, die Sprache der Vergangenheit als Teil unserer Geschichte anzuerkennen: «Ich kann verstehen, warum Menschen Bücher überarbeiten wollen. Wir alle würden gern die Grausamkeiten vergessen, die zu uns gesagt wurden. Viele von uns würden sicher auch gern die Grausamkeiten vergessen machen, die sie selbst gesagt haben. Aber es ist eben geschehen.»

Die 3 Top-Kommentare zu "Bestseller-Autorin Donna Leon rügt Zensur: «Man darf nichts schreiben, was Leser kränkt, überrascht, verletzt, verstört oder in irgendeiner anderen Weise Empfindlichkeiten berührt»"
  • Alpensturm

    Höchste Zeit, dass wir uns gegen die (Online-)Zensur anfangen zu wehren. Sonst sind solche liberalen Kommentarspalten, wie hier bei der Weltwoche bald illegal in der Schweiz.

  • arouet

    Auch ohne eine regierungsamtliche Zensur, auch ohne eine offen häßliche Fratzen zeigende, brutale Diktatur, auch ohne von Regierungsoldaten oder Polizisten begangene Massaker, kann man, in vielen kleinen, für naive oder brave Biedermeier-Bürger nicht auffälligen Schritten, eine im Ergebnis Orwell-1984-ähnliche Gesellschaft, und damit auch einen im Ergebnis Orwell-1984-ähnlichen Staat installieren. Der immer weiter ansteigende Konformitätsdruck und die political-correctness sind Bausteine dazu.

  • tusnelda

    Wenn in Tom Sawyer & Huckleberry Finn von Mark Twain der Nigger Jim kein "Nigger" mehr sein soll, ist das Geschichtsklitterung und verbiegt die Bücher zur Fälschung. "Nigger Jim" ist in der Geschichte ein entflohener Sklave. Wer die Geschichte als Jugendlicher im Original gelesen hat, weiß um den zwiespältigen, mehrdimensionalen Klang des Worts. Ich glaube, sowohl in diesem als auch im Fall von Pippi Langstrumpf kam die Initiative von den Verlagen. Mein Eindruck, die sind betriebsblind.