Keine Superlative war dem brasilianischen Präsidenten Lula da Silva zu hoch gegriffen, als er am Sonntag den Sturm auf den Kongress in Brasilia verdammte: «Faschisten», «Terroristen», «Staatsstreich», «Völkermörder» («Genocida»). Einen derartigen «Angriff auf die Demokratie» habe es in der Geschichte Brasiliens noch nie gegeben.

Lulas treuster Verbündeter, Alexandre de Moraes, Präsident des obersten Wahlgerichtes TSE, schritt gleich zur Tat: Er setzte kurzerhand den Gouverneur der Hauptstadt ab, weil dieser zu wenig Härte gegen die Demonstranten gezeigt habe. Zugleich ordnete er die gewaltsame Auflösung der seit Wochen andauernden Demonstrationen an.

Noch am gleichen Tag wurden 1200 Demonstranten verhaftet, die seit Wochen die Militärkasernen von Brasilia belagern. Friedlich notabene. Sie protestieren gegen einen angeblichen Wahlbetrug. Zum Teil waren es dieselben Leute, welche am Sonntag den Kongress gestürmt hatten.

In Wahrheit war der Sturm auf den Kongress in Brasilia weder neu noch besonders gewalttätig. Am 6. Juni 2006 besetzten Bauern-Aktivisten das Parlament. Da der Angriff – im Gegensatz zum Sturm vom Sonntag – in die Session fiel, kam es zu brenzligen Situationen mit mehreren Verletzten. Ähnliche Aktionen gab es 2013 und 2017.

Der grosse Unterschied: Bislang waren es immer linke Aktivisten, welche das Parlament stürmten. Mit den Genossen suchte man den Dialog. Gegen rechts ist dagegen Eskalation und Repression angesagt.

Seit Wochen lassen Lula und sein selbstherrlicher Richter-Kumpel de Moraes nichts unversucht, die bislang friedlichen Proteste zu kriminalisieren. Der Sturm auf das Regierungsviertel gibt ihnen nun freie Bahn.

Die grosse Frage bleibt: Wer steckt hinter dem Sturm? Ex-Präsident Bolsonaro verurteilt zwar jede Gewalt, distanziert sich aber nicht explizit von den Aktivisten, die in seinem Namen agieren.

Von den etablierten Medien ist keine Klärung zu erwarten. Sie haben derart einseitig auf die Hassfigur Bolsonaro eingeschossen, dass ihnen jede Glaubwürdigkeit abgeht.

Schaut man sich die Bilder der Besetzung des Regierungsviertels an, sieht man eine bunt gekleidete, recht friedliche Menge aus allen Altersklassen. Es war eine kleine Minderheit, die das oberste Gericht und das Parlament stürmte und dort einen beträchtlichen Sachschaden anrichtete.

Es sieht eher danach aus, dass die Massenproteste in Brasilien von einer Eigendynamik getragen werden, die auch ohne Bolsonaro als Leitfigur auskommt.