Der Aufstand tobt still, aber er tobt heftig. Was wir in diesen Wochen in Deutschland erleben, ist der Zusammenstoss tonangebender Machteliten mit der Wirklichkeit. Damit sollen Übergriffe wie etwa auf die Dienstlimousine des Bundeslandwirtschaftsministers Cem Özdemir (Grüne) oder blockierte An- und Abreisen der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang nicht gerechtfertigt werden. Für Gewalt gibt es keine Rechtfertigung.

Dass allerdings auch AfD-Veranstaltungen zum Teil systematisch ohne vergleichbare Kenntnisnahme oder gar mit vermeintlich gesellschaftlicher Billigung massiv bedrängt wurden und werden, ist bereits Teil jener Szenerie, die sich in Deutschland zusammenbraut.

Proteste wie jene in Biberach können niemanden erstaunen, der die Stimmung in weiten Teilen von Wirtschaft und Bevölkerung kennt, die man aber nicht kennen kann, wenn man die Strategie des «Keine Bühne bieten» und (vermeintlich) «Mit Rechten spricht man nicht» verfolgt. Diejenigen, denen man keine Bühne bieten will, nehmen sie sich längst. Man kann ihre Stimmen hören auf der Achse des Guten, bei Tichys Einblick, im Internetradio Kontrafunk, in der Neuen Zürcher Zeitung und in vielen anderen Medien, Video- und Podcast-Portalen.

Die vermeintliche Krise der Demokratie ist keine, es ist lediglich eine Sprachstörung, ein Hörsturz der selbsternannten Demokraten. Der Bundespräsident wendet sich eigens mit einer Botschaft an die Grossdemonstrationen dieses Wochenendes («Liebe Landsleute, ich bin beeindruckt!») und lädt auch sonst zu seinen Ohr-am-Volk-Runden nur ausgewähltes Publikum. In deutschen Talkshows findet man keinen Roland Tichy oder Autoren der Achse. Dort geben sich die immergleichen, von den Redaktionen als bekömmlich ausgewählten «Meinungsführer» die Klinke in die Hand und halten die geführten Debatten anschließend für repräsentativ. Eines freilich muss man konstatieren: AfD-Vertreter werden in letzter Zeit wieder häufiger eingeladen – nicht selten mit erkennbarer und oft penetranter Demontageabsicht.

In Wahrheit reden etwa Grüne und die meisten Sozialdemokraten nicht mit dem, was sie für «alternative Medien» halten, und laden deren Autoren auch nicht in öffentliche Runden ein. Um es klar zu sagen: Das ist völlig legal in einem freien Land. Man darf sich allerdings nicht wundern, wenn auf diesen ausgewählten Bühnen kein wirklich gültiges Meinungsspektrum abgebildet wird.

Es hilft der Demokratie nicht, wenn die einen demonstrieren, dass sie die anderen Meinungen weghaben wollen, und die anderen im Schatten ihrer Plattformen ihre Sicht der Dinge kultivieren. So war Demokratie nicht gedacht. Und die Appelle der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gegen eine «Verrohung der Sprache», die angeblich Taten nach sich ziehe, helfen da ebenso wenig wie die Versuche, mit Repression missliebige Meinungen (auch «unterhalb der Strafbarkeitsgrenze») aus dem Diskurs zu halten.

Kurz: Der Auf- und Widerstand gegen die Politik der Bundesregierung ist seit langem laut und vernehmbar. Man muss ihn nur zu Kenntnis nehmen und die Ursachen akzeptieren wollen. Demokratie beginnt mit Diskurs. Wer ihn verdrängt oder verweigert, muss Ausbrüche wie in Biberach nicht akzeptieren, aber er wird von einem Unmut überrascht, der mit offenem Blick niemanden überraschen kann.

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein neues Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen.

Die 3 Top-Kommentare zu "Deutschland an der Abbruchkante? Die vermeintliche Krise der Demokratie ist keine, es ist lediglich eine Sprachstörung, ein Hörsturz der selbsternannten Demokraten"
  • burg

    Nein Herr Schuler, es ist nicht in Ordnung, wenn sich bestimmte Gruppen weigern, mit anderen Meinungsträgern überhaupt zu diskutieren. Es ist nicht in Ordnung, wenn Menschen, die die Regierung kritisieren, ausgeladen werden. Es ist nicht in Ordnung, wenn Veranstaltungen nicht stattfinden können, weil die Veranstalter unter Druck gesetzt werden. Freiheitliche Demokratie erfordert von allen miteinander zu reden, sich mit Kritik auseinander zu setzen, ohne Gewalt und ohne Drohungen.

  • 😢◕‿◕😢

    „L'État, c'est moi“ ! Das ist die woke links/rot/grüne Haltung!

  • baer1962

    Ich habe nichts anderes gelesen - Schuler hat solches doch gar nicht geschrieben. Ihr Votum/Kommentar ist in der Sache natürlich richtig!