Der russische Überfall auf die Ukraine weckt Befürchtungen, die baltischen Staaten könnten die nächsten Opfer sein. Diese sind aber seit 2004 Mitglied der Nato. Präsident Biden und Nato-Generalsekretär Stoltenberg haben früh bekräftigt, die Allianz werde jeden Zentimeter Boden der Mitgliedstaaten verteidigen.

Das ist klassische Abschreckung. Doch was, wenn sie nicht funktioniert? Wird die Nato «mourir pour Tallinn»? Nach seiner abrupten Invasion in der Ukraine und dem Säbelrasseln mit Atomwaffen traut man Präsident Putin zu, dass er das westliche Verteidigungsbündnis direkt herausfordern könnte.

Dies, obwohl die Nato militärisch Russland wohl überlegen wäre. Putin schien aber – nicht unbegründet – der Meinung zu sein, die Gelegenheit sei günstig, der Gegner befinde sich in einer Schwächeperiode. Inzwischen hat sich der Westen aufgerappelt und demonstriert von Tag zu Tag mehr Entschlossenheit, Energie und vor allem Einigkeit.

Putins Krieg verläuft nicht so, wie sich der Kreml das ausgedacht hat. Planungsfehler, taktisches Unvermögen und fehlende Motivation spielen eine Rolle. Aber dennoch wäre, Stand jetzt, eine Verteidigung der baltischen Staaten mit konventionellen Mitteln ziemlich schwierig. Gutvorbereitete russische Einheiten könnten relativ schnell zur Ostsee vorstossen.

Estland, Lettland und Litauen, ehemalige Sowjetrepubliken, haben nach dem Ende der Sowjetherrschaft sofort ihre Unabhängigkeit erklärt und sich der Nato zugewendet, um nach den bitteren Erfahrungen in Lenins Völkerkerker, auch noch unter Gorbatschow, Schutz zu suchen.

Inzwischen hat sich der Westen aufgerappelt und demonstriert von Tag zu Tag mehr Entschlossenheit.

Was ist eigentlich die Nato, die Putin als Strohmann dient? Sie ist kein eigenständiger Akteur. Sie hat weniger Handlungsmacht als die EU, die immerhin über eine Kommission verfügt. Der Nato-Rat ist straff regierungs- und konsensgebunden. Putin malt das Schreckbild Nato an die Wand, weil er eigentlich Deutschland, Belgien, Frankreich, Kanada als Feinde brandmarken müsste. Das ist propagandistisch schwieriger. Auch ist sie seit langem für die europäische Linke eine Zielscheibe und ein Vehikel für alle Arten von Antiamerikanismus.

Es sind die aus der Beistandsverpflichtung abgeleitete, in langen Jahren aufgebaute, integrierte Militärstruktur und die eingespielten politischen Beschlussfassungsverfahren demokratisch organisierter Staaten, die der Nato ihre Durchschlagskraft verleihen. Sie ist mehr als eine Partymeile für hohe Offiziere, und sie musste nach dem Ende des Kalten Kriegs auch nicht erst politisch werden. Sie ist schon lange eine Schule für praktizierte i