Ex-Kanzler Gerhard Schröder steht auf der Liste, die deutsche Journalistin Alina Lipp und nun auch ihr US-Kollege Keir Simmons vom Sender NBC. Sie gelten als «Feinde der Ukraine», ebenso wie mindestens zehntausend weitere Personen aus Politik, Kunst und Medien, die sich den Zorn der Regierung in Kiew zugezogen haben. Simmons etwa hatte sich erfrecht, seinen Beruf auszuüben und auf der Krim zu recherchieren.

Die schwarze Liste mit dem ominösen Titel «Fegefeuer» steht auf der Website des Zentrums Mirotworez (Deutsch: Friedensstifter) und wird regelmässig aktualisiert. Wo immer möglich werden Fotos, Privatadressen und Telefonnummern der Betroffenen mit veröffentlicht. Diese Informationen wurden oft mit Phishing-Attacken illegal erworben.

Gleichzeitig wird zur Denunziation aufgerufen, wobei gleich unterschieden werden kann nach Vaterlandsverräter, Provokateur, anti-ukrainischer Propagandist, russischer Söldner, Besatzer oder Kriegsverbrecher. Auch die Teilnahme an einer anti-ukrainischen Veranstaltung kann einen auf die Liste befördern. Vorsicht, Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht!

Offiziell handelt es sich bei Mirotworez um eine unabhängige nichtstaatliche Organisation, die «Anzeichen für Verbrechen gegen die nationale Sicherheit der Ukraine, den Frieden, die Sicherheit der Menschheit und das Völkerrecht» untersucht. Die Behauptung ist allerdings fragwürdig, da das Zentrum enge Kontakte zu dem ukrainischen KGB-Nachfolger SBU, dem Innenministerium und anderen staatlichen Stellen unterhält. Gegründet wurde es 2014 von einem ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter.

Seit Beginn des Krieges vor einem Jahr führt der «Friedensstifter» auch Buch über gefangene und gefallene russische Soldaten – mit einer eher unfriedlichen Sprache. In einer persönlichen Botschaft etwa macht sie russischen «Ehefrauen, Mütterchen und Bräuten» wenig Hoffnung, dass ihre «Wichser» noch leben. Die Streitkräfte bei Bachmut leisteten «hervorragende Arbeit bei der Beseitigung … von Wegwerffleisch». Es stehe den Hinterbliebenen aber frei, auf der Website nach «Faschisten und Kriegsverbrechern» zu fahnden, «wenn ihnen langweilig ist». Dann erführen sie wenigstens, wo «ihr Vieh krepiert ist».

In mindestens zwei Fällen haben die Veröffentlichungen von Mirotworez zu Morden geführt: Im Jahr 2016 wurden die beiden ukrainischen Regimekritiker Oles Busyna und Oleh Kalaschnikow auf offener Strasse vor ihren Wohnungen niedergeschossen, nachdem ihre Adressen publiziert worden waren.

Die Website von Mirotworez hat kein Impressum mit einer Anschrift. Stattdessen stehen im Kopf der Seite «Warszawa, Polska» und «Langley, Virginia». In diesem Vorort Washingtons ist die CIA angesiedelt. Registriert ist die Website nach russischen Angaben in Kanada. Die russische Website von Wikipedia will zudem erfahren haben, dass der Server bis 2016 eine Nato-Kennung hatte.