Herbert Grönemeyer: Das ist los. Vertigo. Live: 31. Mai, Hallenstadion, Zürich
Herbert Grönemeyer macht es auch langjährigen Hörern seiner Lieder nicht leicht, sein neues Album auf die Schnelle zu mögen. Da ist zum Beispiel die Sache mit den Melodien. Bei allem, was man am Werk des 67-jährigen Musikers gut oder weniger gut finden kann, ist es schwer zu bestreiten, dass der Deutsche ein guter bis sehr guter Sänger und Komponist ist. Wie er im Verlauf einer langen Karriere seine Sprache in Gesangslinien umgetextet hat, ist einzigartig. Grönemeyers Stimme umfasst zwei Oktaven und reicht – nach eigenen Angaben – bis zum hohen E. Auf «Das ist los» blitzen die gesanglichen Fähigkeiten immer wieder auf, als würde man an einem sonnigen Morgen den Vorhang kurz aufmachen, aber den meist kurzen neuen Stücken fehlt es immer wieder mal etwas an Melodien, die einem auch eine Stunde später noch im Kopf herumtönen.
Weitgehend elektronisch
Fast atonal beginnt «Deine Hand», um in einen Refrain überzugehen, der einem dann doch im Ohr hängenbleibt, nachdem der letzte Ton verklungen ist: «Deine Hand, sie schiebt / In Liebe meine Hand an, gibt und gibt / Alles, was sie kann, sie ist mein Pier / Deine Hand ist meine Bank» sind eingängige Zeilen. Der Titelsong wiederum ist eine humorvolle Text-Collage, die musikalisch an Trio («Da da da») und in Bezug auf die Song-Architektur ein wenig an die Fantastischen Vier («MFG») erinnert. Überhaupt haben Produzent Alex Silva und Musiker Herbert Grönemeyer ein weitgehend elektronisches Album eingespielt, die Arrangements wirken meist aufgeräumt-atmosphärisch, manchmal auch etwas karg. Die Tradition der Neuen Deutschen Welle klingt mal an, um dann überraschend zum unterhaltsamen Disco-Moment in «Das ist los» umzuschlagen: «Gucci, Prada, Taliban / Schufa, Tesla, Taiwanwahn / Was ist, Kid? / Kriegst du noch was mit?»
Herbert Grönemeyer hat sich in Interviews schon beklagt, dass man seine Fähigkeiten zum Humor zu wenig wahrnehme. Das hat allerdings auch viel damit zu tun, dass er die durchaus vorhandenen leichten, ironischen Momente in seinen Liedern gerne gleich selbst mit moralischem Ballast zudeckt. «Deine Hand» wird zum Soundtrack der iranischen Frauenrevolution, «Der Schlüssel» packt die Gefühlslage von Flüchtlingen in eher schlichte Poesie: «Nichts ist wie, was man Heimat nennt / Man ist hier fremd / Man ist gelähmt / Weil man nie vergisst / Dass der Schlüssel nicht mehr schliesst». Es berührt einen fast peinlich, wenn ein wohlhabender Sänger mit Wohnsitzen in Berlin und London seinem Publikum einen solchen Perspektivenwechsel offeriert, der das Offensichtliche in eine traurige Melodie und fast schon banale Zeilen einbettet.
Die Berliner Zeitung hat das Album als Platte der poetischen Motivation bezeichnet, als «Teamspirit für seine humanistische Utopie». Dabei erreicht Grönemeyer immer dann die höchste Intensitätsstufe, wenn er sein Inneres nach aussen kehrt. Auch wenn er sich immer dagegen verwahrt hat, den Künstler mit der Kunst gleichzusetzen, ist die Erinnerung an seine verstorbene erste Frau Anna, die er in «Urverlust» in Worte und doch etwas Melodie fasst, einer der berührenden Momente auf diesem 16. Studioalbum des Musikers aus dem Ruhrpott. Darauf folgen, angetrieben von einem schlichten, fast kindlich klingenden Beat, die Motivationszeilen «Leg dir einfach keinen Zugzwang an / Nicht nur du weisst nicht wohin / Es braucht keinen Hauptgewinn / Kein Druck, kein Plan / Wichtig ist nur, dass man Alltag kann».
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Zenit längst überschritten - tja, da kann man leider nur sagen: "weich in der Birne..."
Schaut nach Bochum, da spielt die Musik - schade ist es nicht gerade um die Ecke.
Ich mag diesen Mainstream Sänger überhaupt nicht mehr!
Ich höre mir seine Musik nicht an, er ist akustisch-verbal nicht zu verstehen. Seine Silbenverständlichkeit liegt unter 10%. Um jemanden zu verstehen, braucht es eine Silbenverständlichkeit von mindestens 30%, festgelegt von der CCITT.
Als Schauspieler war er allerdings Weltklasse. Ich habe bisher niemanden gesehen , der so realitätsnah aus einem U-Boot Turm kotzte. 😉
Grönemeyer macht es nicht nur langjährigen Hörern seiner Lieder nicht leicht sein neues Album zu mögen. Musikalisch ist das völlig uninteressant, und eine schöne Stimme hatte er ohnehin noch nie.
Im links-grünen Milieu wird er trotzdem damit punkten, dass er in Konzerten "keinen Millimeter nach rechts" heraus grölt, und brüllend "diktieren" will "wie 'ne Gesellschaft auszusehen hat".
Ich will ja nicht gehässig sein, aber manchmal denke ich bei Grönemeyer, wäre er doch mit U96 besser wieder abgetaucht.
Grönemeyer kann man sich für jedes politische System vorstellen, solange diese Systeme an der Macht sind.