Der 1. Mai, der Tag der Arbeit, ist eigentlich eine schöne Tradition. Er steht für die Rechte der arbeitenden Bevölkerung – und für die Pflichten der Arbeitgeber. Schon immer war er aber eine Plattform für politische Interessen. So kam es 1886 rund um den 1. Mai im Kampf für einen Acht-Stunden-Arbeitstag in Chicago zu gewaltsamen Protesten und Streiks mit Toten und Verletzten. Acht Streikorganisatoren wurden hingerichtet. In Deutschland diente der «Tag der nationalen Arbeit» den Nationalsozialisten ab 1933 als Propaganda-Instrument, um die Arbeiter-Bewegungen zu vereinnahmen und die Gewerkschaften zu entmachten.

Im Vergleich dazu erinnern die politischen Botschaften, die am 1. Mai 2023 in der Schweiz verbreitet werden, an einen Kindergeburtstag. Und dennoch bestürzt es, mit welcher Radikalität gewisse Kreise vorgehen und den Feiertag für ihre eigenen Interessen missbrauchen. Wer am späteren Nachmittag beispielsweise in der Zürcher Innenstadt unterwegs war, musste genau schauen, wo er den Fuss hinsetzte. In der Luft hing nicht nur die Botschaft von Klassenkampf und Arbeiterehre – sondern auch eine Mischung aus Reizgas und Pulverdampf.

Bereits in den offiziellen Umzug am Morgen hatten sich Linksautonome (oder Linksradikale) gemischt und aus der Anonymität der breiten Masse die Confiserie Läderach versprayt und am UBS-Hauptsitz an der Bahnhofstrasse Farbbeutel geworfen. Vor dem Hauptbahnhof muss Alfred Escher dran glauben. Sein Denkmal wird mit roter Farbe eingedeckt.

Auf dem Sechseläuten-Platz kommt es zum offiziellen Festakt – mit der Rede von SP-Nationalrätin Tamara Funiciello als Haupttraktandum. Was sie sagt, ist wenig überraschend. Funiciello spricht vom feministischen Kampf in der Schweiz, fordert gerechte Frauen-Löhne, plädiert für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen über ihren Körper. Und sie ruft an der Schnittstelle von Pathos und Hysterie zum Streik auf: «Wir sind gekommen, um zu bleiben. Und wir fordern dabei nicht nur die Hälfte des Kuchens. Wir fordern die ganze Bäckerei.»

Erinnern diese Worte noch in gewissem Sinne an ein bekanntes Weihnachtslied, ist der Rest des Tages weniger beschaulich. Das Geschehen verlagert sich ins Langstrassenquartier und wird immer aggressiver. Die Teilnehmer der unbewilligten Nachdemonstration zünden Fackeln und feuern Böller gegen die anrückende Polizei. Die Einsatzkräfte ihrerseits fahren mit Wasserwerfern und Gummischrot auf. Passanten ziehen die Köpfe ein und ergreifen die Flucht. Zahlreiche Personen werden eingekesselt, andere flüchten aufs Kasernen-Areal, wo das traditionelle Familienfest stattfindet und auf betrübliche Weise gestört wird. So werden auch Kinder zu Opfern der Ausschreitungen.

Zurück bleiben (einmal mehr an diesem Tag) nur Verlierer. Dabei könnte der 1. Mai – gerade in kriegerischen und verwirrenden Zeiten – ein friedlicher und schöner Feiertag sein. Er könnte es. Eigentlich.