Die deutsche Politik irrlichtert.

So, wie man auch im normalen Leben schwankende Gemüter daran erkennt, dass sie im Diskurs die Argumente wechseln wie die FDP die Haltung zur Ampel-Koalition, so versucht die deutsche Politik derzeit, sich die lästige Laus der AfD aus dem Pelz zu kämmen.

Erst war es nur der sächsische CDU-Abgeordnete Marco Wanderwitz, der mit dem Vorschlag eines AfD-Verbots hausieren ging, jetzt schliessen sich mindestens 25 SPD-Genossen der Idee an. Die Argumentation kommt dabei weitgehend ohne begründende Fakten aus und bemüht in der Regel einfach nur die Überzeugung, dass die AfD von Übel sei und mit zunehmender Stärke gefährlich. Dass man in einem Rechtsstaat einen solchen Eingriff in die Parteienlandschaft begründen muss und als Konsequenz aus der Willkür der Nationalsozialisten im Grundgesetz eine sehr hohe Hürde errichtet wurde, schert dabei wenig.

Neuester Schrei im «Kampf gegen rechts» ist die Idee der Kampagnen-Plattform Campact, dem Thüringer AfD-Chef Björn Höcke die verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte zu entziehen, ihm zumindest das Recht zu nehmen, sich zur Wahl zu stellen. Auch hier wird weniger juristisch, als vielmehr mit einer diffusen Dämonisierung argumentiert. Es war nicht Höcke, der Hunderttausende Landwirte und noch mehr Sympathisanten auf die Strassen trieb, sondern die Bundesregierung. Und mit welchen Äusserungen Höcke seine Bürgerrechte verwirkt haben soll, ist auch ziemlich unklar.

Fakt ist, dass Höcke am monströsen Image seiner Person nicht ganz unschuldig ist, jonglierte er doch in der Vergangenheit immer wieder bewusst mit NS-Assoziationen, etwa wenn er von «tausend Jahre Deutschland» sprach, was an das «tausendjährige Reich» der Nazis erinnerte, oder in der Formulierung «Mahnmal der Schande» für das Berliner Holocaust-Mahnmal offenliess, ob er den Holocaust schändlich findet oder die Erinnerung daran. Kein Wunder also, dass der studierte Geschichtslehrer auch von vielen Konservativen für einen «Hitler-Fan», «Goebbels-Wiedergänger» oder Ärgeres gehalten wird. Was er wirklich im Schilde führt, können selbst langjährige AfD-Funktionäre nicht so genau erklären.

Wer sich freilich den betreffenden Artikel 18 des Grundgesetzes ansieht, ahnt schnell, warum von den bisher vier Versuchen der Grundrechtsaberkennung keiner Bestand hatte und auch Höcke kaum damit zu fassen wäre:

«Wer die Freiheit der Meinungsäusserung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmass werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.»

Und dann ist da auch noch Ex-US-Präsident Donald Trump, der gute Aussichten hat, ins Weisse Haus zurückzukehren und damit bei Links-Progressiven das Weltgefühl eines neu heraufziehenden braunen Zeitalters nährt. In dem Bewusstsein, die richtigen Lehren aus dem Dritten Reich gezogen zu haben, und im Namen eines nicht näher definierten «Nie wieder!»-Imperativs wächst damit im linken Lager gerade in Deutschland ein Gefühl tiefster Berechtigung, mit allen Mitteln gegen den neuen Hitlerismus vorgehen zu müssen.

Und noch etwas kommt hinzu: Deutsche Polit-Eliten sind es nicht gewohnt, dass sich grössere Volksmassen ins Geschäft der etablierten Parteien einmischen. Das einende Band der deutschen Nachkriegsgeschichte heisst Wohlstand. Mit ihm konnten temporäre Aufwallungen wie bei den Protesten gegen die «Nato-Nachrüstung» Anfang der 80er Jahre oder die Anti-Atomkraft-Bewegung immer wieder eingefangen und gegebenenfalls mit Geld ruhiggestellt werden.

Wer in Deutschland mit allem unzufrieden war, äusserte seinen Protest bislang durch Nichtwählen (NRW-Landtagswahl 2022: 55 Prozent Wahlbeteiligung), und das Wahlsystem, mit dem nur die abgegebenen Stimmen gezählt werden, sorgte dennoch regelmässig für Regierungsoptionen. Frust hin oder her, Farben neu gemischt und weiter so. Dieses politische Wohlfühl-Ambiente wankt derzeit, weil die Deutschen in Umfragen zwar noch immer für Klimaschutz, Weltoffenheit und soziale Gerechtigkeit votieren, weil jeder die «soziale Erwünschtheit» dieser Themen spürt. Wenn es jedoch zum Praxisschwur kommt, ist die AfD eine willkommene Projektionsfläche gegen alle denkbaren linken Reflexe, die man bisher schulterzuckend geschehen liess und jetzt mit dem grossen Vorschlaghammer abstrafen kann.

Björn Höcke ist da allenfalls ein Prügelknabe für die Panik linker Apokalyptiker. Die Ursachen und Symptome liegen tiefer. Viel tiefer. Und sie liegen links.

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein neues Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen.

Die 3 Top-Kommentare zu "Prügelknabe für Panik-Apokalyptiker: AfD-Verbots-Fantasien waren gestern. Heute diskutiert Deutschland bereits darüber, Björn Höcke die verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte zu entziehen"
  • singin

    Im Vergleich zu Kanzler Olaf Scholz und seiner ganzen Versagerbande, der Ampelregierung, ist Björn Höcke ein unbedeutendes Licht, das manchmal ein wenig daneben ist. Rot-Grün wäre besser beraten, den Dreck vor ihren eigenen Haustüren wegzufegen, bevor sie ein solches Geschrei verführen. Aber klar: die müssen längst um ihre politische Existenz fürchten.

  • mullex

    Seit Merkel haben wir die Gesetze regelmäßig mit Ermächtigungs-Paragrafen versehen. Die Exekutive ermächtigt sich mit Ermächtigungsgesetzen. Da realisieren andere als Höcke die Braune Realität. Von den Wunderwaffen- und Endsiegs-Phantasien des Parteienblocks wäre auch zu reden.

  • ek

    Bereits die DDR hatte feste Vorstellungen, welche vorgegebene Sichtweise ein Bürger einzunehmen hatte. Wer sich dem nicht anschloß, der hatte schlechte Karten und wurde gelegentlich über die Grenze, also in die BRD (oft gegen Lösegeld) abgeschoben. Derartiges Glück können die Gesinnungseliten aus CDU, SPD, Grüne den selbstbewußt demokratischen Bürgern nicht gewähren, schon weil bereits dafür eine der alten BRD vergleichbare, freiheitliche Republik nicht mehr existiert. Kein Exit mehr möglich.