Noch sind die Besonnenen in der Überzahl.

Fast schon erleichtert registrieren Nato-Vertreter die Meldung, wonach es «nur» ukrainische Flugabwehrraketen waren, deren Einschlag auf polnischem Territorium zwei Menschenleben forderte. Dabei gibt es sowohl in Russland als auch in der Ukraine eine Kriegspartei, die den Nato-Eintritt in Putins Ukraine-Krieg inzwischen durchaus begrüssen würde.

Der zum Kriegs-Populisten gewandelte Ex-Staatspräsident Dmitri Medwedew fordert, niemand dürfe mehr «im warmen Zimmer sitzen», nirgendwo. Schon jetzt kämpfe Russland «allein gegen die Nato und die westliche Welt». Und: «Auch allein können wir den mächtigen Feind oder das feindliche Bündnis besiegen.»

Angesichts der realen russischen Performance klingt das wie Pfeifen im Wald. Doch auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nimmt die Backen voll: Das Abfeuern von Raketen auf Nato-Territorium sei «ein Angriff Russlands auf die kollektive Sicherheit». Er fügt hinzu: «Wir müssen handeln.» Ein Nato-Wir, dem er die Ukraine schon hinzugesellt hat.

Die vielen russischen Militärblogger interpretieren den Vorfall nach Gusto.

Beliebt ist die Prognose, die Nato werde den Raketeneinschlag nutzen, um noch mehr Technik zur baldigen Lieferung hinter der ukrainischen Grenze zu massieren.

Eine ganz andere Stimme, der Carnegie-Analyst Alexander Baunow, sieht das grösste Risiko in einer Art schrittweisem Nato-Engagement. Etwa im Zuge der möglichen Einrichtung einer Flugverbotszone über der Westukraine. Oder eines militärischen Eingreifens der Polen und Balten ausserhalb des Nato-Dachs.

In der Folge könnte ein Wort das andere geben – und der Weltkrieg wäre angezettelt.