Mit Waffenlieferungen und Kriegsrhetorik spielen westliche Regierungen ungefragt mit dem «Leben ihrer Bevölkerungen Poker». Diesen schwerwiegenden Vorwurf erhebt der angesehene Zürcher Finanzwissenschaftler Marc Chesney in einem Beitrag für die Genfer Zeitung Les Temps.

Unter dem provokativen Titel «Wer ist bereit, für den Donbass oder die Krim zu sterben?» moniert der Autor, dass die Ukraine-Politik westlicher Staaten ohne Konsultation mit den Bürgern vorangetrieben werde: «Keine der vorgeblich demokratischen Regierungen fragt ihre Bürger, ob sie bereit wären, sich für den Donbass oder die Krim eventuell zu opfern.» Sie sollten sich aber «ganz persönlich» die Frage stellen, «welche Folgen dieser Krieg für sie selber, ihre Familien und ihr privates Umfeld haben könnte».

Nach Chesneys Worten würden die Verantwortlichen schwerwiegende Entscheidungen treffen, obwohl sie im Grunde «keinen Durchblick» hätten. «Ein paar Dutzend Einzelpersonen, kriegerische Minister, Generäle, Waffenproduzenten und Financiers stecken ihre Köpfe hinter verschlossenen Türen in Ramstein, Davos oder anderswo zusammen und beschliessen, eine Wette darüber einzugehen, wie Wladimir Putin auf die kürzlich beschlossenen Lieferungen von Kampfpanzern – und womöglich auf künftige Lieferungen von Kampfflugzeugen – an die Ukraine reagieren wird. Der Einsatz der Wette ist das Leben von Millionen, ja Milliarden Menschen.»

Nach Ansicht von Chesney ist die fehlende demokratische Legitimation für eine Eskalation in der Ukraine bei gleichzeitig fehlendem minimalem Schutz der Bevölkerung ein «Bruch des Gesellschaftsvertrags». In fast allen Medienkanälen dominiere martialische Propaganda. «Wie kann man nur einen Augenblick lang rechtfertigen, für einen ukrainischen oder eben russischen Donbass die Existenz ganzer Bevölkerungen aufs Spiel zu setzen?»