Das (Anne-)Spiegel-Gefecht ist geschlagen und auch dieses mässig originelle Wortspiel noch untergebracht. Doch aus der von Kanzler Olaf Scholz (63, SPD) ausgerufenen «Zeitenwende» ist bei der Ampel-Koalition noch längst nicht die fällige Denk-Wende geworden. Fragt sich, wo die nächsten Baustellen liegen.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (56, SPD) stand bei den Waffenlieferungen an die Ukraine bis zum Schluss auf der Bremse, ist habituell nach Ansicht vieler Soldaten noch längst nicht bei der Truppe angekommen und möchte noch in dieser Legislaturperiode eine Frau zum General befördern. In der dafür nötigen Offizierslaufbahn befindet sich derzeit keine, aber da kann man sicher nachhelfen. First things first.

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (56, Grüne) ist immerhin bereit, über Gentechnik «nachzudenken», wettert ansonsten aber gegen Billig-Fleisch, als beginne die Wertschöpfung im Ladenregal und nicht beim Bauern, der auch für ordentliche konventionelle Haltung ordentlich bezahlt werden muss. Während der Grünen-Kollege, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (52), Natur-, Arten- und Landschaftsschutz für mehr Windräder und Solar-Panel-Felder runterfahren will, hält Özdemir trotz sich abzeichnender Nahrungsmittelknappheit an Flächenstilllegungen fest. Hungersnöte werden andere treffen.

Und damit auch die FDP ihr angemessenes Quäntchen (so viel Quote muss sein) Fett wegkriegt, sei Bundesjustizminister Marco Buschmann (44) nicht vergessen, der sich um Hoffnungen nicht schert, die Liberalen könnten als bürgerliche Bremse dem identitätspolitischen Furor der Grünen Einhalt gebieten. Die Abschaffung des Paragrafen 219a (Werbeverbot für Abtreibungen) hat er schon tapfer vollzogen, freie Wahl des Geschlechts und Transexuellengesetz (Wechsel ohne Arztgutachten) sollen folgen.

Motto: Gesellschaft, Realität? Machen wir uns selbst.

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein neues Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen.