Sehr geehrter Herr Präsident
Herr Generalsekretär
Sehr geehrte Damen und Herren Staats- und Regierungschefs
Exzellenzen
Meine sehr verehrten Damen und Herren
Es fällt mir nicht leicht, in diesen kriegerischen Zeiten das Wort an Sie zu richten. Die Schweiz ist ein Kleinstaat, keine militärische Grossmacht. Nicht mehr. Unsere einst ruhmreichen Heerhaufen haben schon vor Hunderten von Jahren aufgehört, andere Länder anzugreifen. Durch Niederlagen geläutert, beschlossen unsere Vorfahren, den Weg der Gewalt zu verlassen, um stattdessen die Welt, Sie verzeihen, auf friedlichem Weg zu erobern – mit Produkten und mit Dienstleistungen.
Die Schweiz ist eine der ältesten und erfolgreichsten Selbsthilfeorganisationen der Geschichte. Sie hatte das Glück, aber auch das Geschick, von den grossen Kriegen Europas einigermassen verschont zu bleiben. Wir sind uns der Gnade bewusst, die uns Schweizern dabei zuteilwurde, und dieses Bewusstsein mahnt zu Dankbarkeit und Demut. Wir haben gelernt, dass die friedliche Koexistenz unterschiedlichster Menschen auf begrenztem Raum unser ewiges Bestreben bleiben muss.
Die Schweiz ist vor zwanzig Jahren den Vereinten Nationen beigetreten. Sie hat sich diesen Entscheid nicht leichtgemacht. Am Schluss aber hat sich – weltweit einzigartig – in einem demokratischen Volksentscheid eine Mehrheit unserer Stimmbürger und Kantone bewusst für diesen Schritt entschieden. Warum? Weil die Uno nach einem Jahrhundert mörderischer Weltkriege die Hoffnung verkörpert, dass die Völker ihre Konflikte friedlich und auf der Grundlage des Rechts beizulegen imstande sind.
Die Uno ist die Hüterin des Völkerrechts, und das Völkerrecht ist besonders für einen kleinen Staat wie die Schweiz ein wichtiger Pfeiler von Frieden und Sicherheit. Aber auch das Völkerrecht kann uns nicht von der finsteren Möglichkeit des Kriegs befreien. Es braucht, immer wieder, die Bereitschaft der Völker, einander zu verstehen, miteinander zu sprechen, sich über alle Gegensätze und Konflikte hinweg die Hand zu reichen. Dazu möchte, dazu kann die Schweiz einen Beitrag leisten.
Die Schweiz verurteilt Verletzungen des Völkerrechts, unabhängig davon, wer sie begeht. Unsere Regierung hat den völkerrechtswidrigen Angriff der USA auf den Irak nach der Jahrtausendwende ebenso kritisiert wie den Einmarsch russischer Truppen vor sieben Monaten in die Ukraine. Wir wünschen in solchen Situationen nichts sehnlicher herbei als einen stabilen Frieden, den es aber nur unter Berücksichtigung aller Interessen geben kann.
Als neutralem Staat steht es uns nicht zu, die Gründe und Motive zu hinterfragen, die kriegführende Mächte für sich in Anspruch nehmen. Wir können nur die Verantwortung anmahnen, die aus Sicht eines Kleinen die Grossen für die Wahrung der internationalen Rechtsordnung zu tragen haben. Neutralität bedeutet, dass die Schweiz, solange sie nicht selber angegriffen wird, unparteiisch bleibt, sich auf keine Seite schlägt, sondern, neutral, den Standpunkt des Rechts vertreten darf.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinten Nationen nimmt unser Land unter den Grossmächten Einsitz im Uno-Sicherheitsrat. Ich gebe unumwunden zu: Das ist ein grosses Wagnis, es ist auch ein Risiko für unser Land, das seit Jahrhunderten den aussenpolitischen Maximen des Innerschweizer Heiligen Niklaus von Flüe folgt: «Macht eure Zäune nicht zu weit. Mischt euch nicht in fremde Händel ein!» Wir haben nicht vor, von diesen Grundsätzen abzuweichen.
Aber wir werden uns mit aller Kraft und Bescheidenheit bemühen, unsere schweizerischen Werte und Erfahrungen in dieses Gremium hineinzutragen. Als kleines Land mit unterschiedlichen Sprach- und Glaubensgemeinschaften pflegen wir den Dialog und die Notwendigkeit, dem anderen zuzuhören. Unzählige Menschen aus aller Welt haben in der Schweiz Zuflucht und eine neue Heimat gefunden. Sie schätzen die Freiheit, die Demokratie und die politische Stabilität in unserem Land.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, wenn alle Staaten auf dieser Welt neutral wären wie die Schweiz, gäbe es keine Kriege mehr. Dieser schönen Hoffnung, einer Illusion vielleicht, wollen wir uns nicht hingeben. Aber der neutrale Staat macht sich um den Frieden verdient, weil er – erstens – niemanden angreift und weil er – zweitens – gerade in Kriegszeiten die Aussicht auf den Frieden wachhält, auf die Möglichkeit einer Verständigung, ohne die es keinen Frieden geben kann.
Nach dem Elend der Napoleonischen Kriege, am Wiener Kongress von 1815, haben die europäischen Grossmächte, allen voran Russlands Zar Alexander I., der Schweiz das völkerrechtlich besiegelte Privileg der Neutralität gewährt. Wir haben dies stets als grosse Ehre, vor allem aber als Auftrag empfunden, als Garantie unserer Sicherheit, aber eben auch als Verpflichtung, die Schweiz zu bewahren und zu pflegen als Oase der friedlichen Koexistenz.
Ich danke Ihnen. R. K.
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