Die beliebteste sexuelle Fantasie der Frauen kannten Sie, wie ich, bisher bestimmt nicht. Software-Ingenieure haben sie erforscht, indem sie Milliarden von pornografischen Google-Suchanfragen von Männern und Frauen gesammelt und ausgewertet haben. In ihrem Buch «A Billion Wicked Thoughts» (2012) haben Ogi Ogas und Sai Gaddam dann aufgeschrieben, was Männer und Frauen tatsächlich sexuell antörnt. So stellten sie etwa fest, dass Männer nach Bildern oder Videos mit pornografischem Inhalt suchen, Frauen bevorzugen eher literarische Darstellungen. Sie erwärmen sich also nicht unbedingt für die visuelle Erotikszene zwischen der vollbusigen Studentin und ihrem Typen im Stroh, viel anregender ist es, über das Geschehen zu lesen und es mit der eigenen Fantasie auszuschmücken. Über das Buch spricht der Psychologieprofessor Jordan Peterson in einem seiner Vorträge, der bei Youtube abrufbar ist.

Die Forscher führten auch eine Plot-Analyse der typisch weiblichen Pornofantasie durch, und die ergab, dass eine bestimmte Art von Geschichte den Frauen als besonders populärer Stimulus dient: Junge, attraktive Frau begegnet Mann, der irgendwie bedrohlich wirkt. Fünf Männer-Typen seien dabei besonders beliebt: Werwolf, Vampir, Pirat, Milliardär, Chirurg. Sie sind amüsiert, liebe Leser? Es geht noch weiter: In der Story trifft die Frau diesen aggressiven, wilden Mann, verführt ihn – und schafft es, ihn zu zähmen. Faszinierend, nicht wahr? Gerade unter dem Gesichtspunkt, dass das nicht irgendeine Konsumenten-Umfrage von Pornoanbietern oder Dating-Apps ist, sondern eine Erhebung aus einer immensen Datenmenge.

Die Frau verführt den aggressiven, wilden Mann – und schafft es, ihn zu zähmen. Faszinierend, nicht wahr?

Peterson hat einen interessanten Ansatz zu den Ergebnissen, die ihn nicht überraschen. Diese Fantasien würden das «weibliche Verlangen nach Aggression» ausdrücken, auch nach männlicher Dominanz, und zeigten klar die sexuelle Begierde nach Männern ganz oben in der Dominanz-Hierarchie. «Die typische Frau verführt und zähmt den aggressiven Mann», nennt Peterson das Phänomen und vergleicht es mit «Beauty and the Beast»: «Das ist der weibliche Heldenmythos.» Ausserdem sei es nicht reizvoll, jemanden zu zähmen, der schon gezähmt ist. «Und warum sollte man überhaupt jemanden wollen, der zahm ist?»

Hier hat er meine Zustimmung: Ein gezähmter Mann taugt als lüsterne Fantasie der weiblichen Begierde etwa so gut wie ein Bahnhof-WC als Anreiz für ein Ferienziel. Das Monster also zu bezaubern und in ein gesittetes und umgängliches Biest zu verwandeln, dagegen ist nichts Triftiges einzuwenden.

Heisst das jetzt, Männer sollen aggressiv sein? Natürlich nicht. Niemand behauptet, Frauen wollten aggressive Männer. Es heisst auch nicht, dass er mit dem Baseballschläger unter dem Bett schlafen muss. Aber viele wollen offenbar einen Mann, der zu instinktiver Aggression fähig ist, wenn es eine Situation verlangt. Anders gesagt: Sie darf in ihm schlummern, er muss sie aber kontrollieren können. Denn als Frau ist es beruhigend, zu wissen, dass er in der Lage wäre, eine aggressive Komponente zu entwickeln und sich in ein dominantes Wesen zu verwandeln, wenn es für ihren Schutz, und dem der Familie, notwendig ist. In einem Krieg oder nach einem Erdbeben, wenn das totale Chaos herrscht, ist ein Löwe nützlicher als ein Stubentiger. Das ist jetzt alles etwas übersimplifiziert, es mag auch nicht auf jede Frau zutreffen, aber biologisch gesehen macht das Sinn.

Egal, wie emanzipiert eine Frau sein mag, tief im Innern ist die Vorstellung der Schutzfunktion wohl noch immer in vielen verankert. Und ich stelle mir das als Mann nicht ganz einfach vor, all diese Wesenszüge der unbewussten weiblichen Sehnsucht unter ein Dach zu bringen. Vom modernen Mann wird zahmes Verhalten erwartet, Aggressivität wird als toxisch erklärt und sollte so gut wie möglich unterdrückt werden. Auf der anderen Seite soll er die Furie rauskramen, in Situationen, in denen sie nützlich ist. Frauen sind von Natur aus widersprüchliche Wesen – kein Wunder, blicken viele Männer nicht mehr ganz durch, was man eigentlich von ihnen will.

Wer also als Mann so nahe wie möglich an die feminine Sexfantasie herankommen möchte, liegt mit einer Augenklappe und einem Paar Vampirzähnen in der Nachttischschublade schon mal nicht komplett falsch.