Der Winter 2022/23 veränderte Europa stark. Die rundherum befürchtete totale europäische Energiekrise blieb zwar aus. Gleichwohl wurde die Grundlage für eine neue Energie- und Klimapolitik gelegt. Es wurde klar, dass die beste Absicherung gegen Strom- und Gasausfall ganz simpel ist: ölbetriebene Stromgeneratoren. In der Schweiz wurde es seither üblich, Neubauten mit ölbetriebenen Notfallgeneratoren und Öltanks auszurüsten. Zugleich wurde offensichtlich, wie wichtig die Kernenergie für die Energieversorgung war. Als die zuvor lange revidierten französischen Kraftwerke wieder ans Netz gingen, war das Aufatmen gross.
Böse Zungen behaupteten gar, die Atomlobby habe dafür gesorgt, dass die AKW erst auf den Höhepunkt der Stromknappheit wieder medienwirksam eingeschaltet wurden. Im Unterschied zum Rest der Welt wurden in der Schweiz keine neuen Werke gebaut. Aber die alten wurden umfassend renoviert und mit neuen Reaktoren versehen, so dass sie angeblich weitere hundert Jahre so gut wie neue Anlagen sein sollen.
Andere Einstellung zum Klimawandel
Prägend war sodann auch der hart geführte Streit um vereinfachte Zulassungsverfahren für Anlagen zur Produktion von erneuerbarer Energie. Mittlerweile ist klar geworden, dass nicht, wie damals noch behauptet, die langen Baubewilligungsverfahren für den langsamen Ausbau der Windkraft verantwortlich waren, sondern die völlige Ineffizienz der Windkraft in der Schweiz. Die Investoren haben lieber im Ausland gebaut, weil es dort viel mehr Wind und billigeren Boden gibt. Oder umgekehrt: In der windarmen, dichtbesiedelten und reichen Schweiz mit hoher Zahlungsbereitschaft für schöne Landschaft und gute Gesundheit, da, wo die Abwesenheit von Dauerlärm und Dauerbelastung durch Rotation wertvoll ist, da waren Windräder einfach hochsubventionierter, totaler gesellschaftlicher Unsinn.
Schliesslich hat sich mit dem Winter 2022/23 auch die Einstellung zum Klimawandel grundlegend gewandelt. Viele Bürger verstanden, dass die damalige Schweizer Klimapolitik extrem teuer war, aber dem Klima nur wenig brachte. Trotz allem Aufwand war der Anteil der Alternativenergien immer noch minim, erst recht, wenn er nicht in Kilowattstunden, sondern korrigiert um den wirtschaftlichen Wert des Flatterstroms gemessen wurde. Zudem wurde klar, dass die allermeisten Länder und Regierungen auf der Welt die Dekarbonisierung ihrer Volkswirtschaften nicht bezahlen konnten oder sie sogar nicht einmal wollten.
Deshalb wurde die Klimapolitik nach und nach auch in der Schweiz pragmatischer gesehen. Zwar wurden immer wieder hehre Emissionsreduktionsziele formuliert, aber ihre Berechnung angepasst. So wurden die Ziele nicht mehr als absolute Gesamtzahlen von Tonnen definiert, sondern als Tonnen pro Einwohner, so dass die Zuwanderung die Emissionsreduktionsanstrengungen nicht mehr unterlief.
Und als CO2-Kompensationsmassnahmen wurde neu die geschätzte weltweite Emissionsreduktionswirkung der schweizerischen Forschungsleistungen zur Entwicklung neuer und besserer erneuerbarer Energien und zur Entnahme von Treibhausgasen aus der Luft auf die Klimabilanz angerechnet.
Dabei zeigte sich dann, dass die Schweiz schon längst vor 2022 klimapositiv war. Deshalb verlagerte sich die öffentliche Diskussion zunehmend auf die Frage, wie sich die Schweiz an den Klimawandel anpassen soll. Da aber die erwartete Erwärmung im Bereich derjenigen der Zeit von 1870 bis 2022 mit in der Schweiz bekanntlich 2,1 Grad blieb und diese damals kaum als Problem gesehen wurde, war vielen plötzlich unklar, was eigentlich in Zukunft das Problem ist.
Reiner Eichenberger ist Professor für Theorie der Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Universität Fribourg und Forschungsdirektor des Crema.
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