Die USA sind nicht gerade als Land der Eisenbahnen bekannt. Für die Amerikaner hat das Automobil einen viel grösseren Stellenwert; Detroit war als Standort der Marken Ford, GM und Chrysler lange Zeit der Nabel dieser Industrie. Und heutzutage steigt ins Flugzeug, wer eine längere Strecke zurücklegen muss. Gleichwohl misst das gesamte amerikanische Eisenbahnstreckennetz knapp 300.000 Kilometer und ist damit das längste nationale Netz der Welt.

Davon ist aber nicht einmal ein Prozent elektrifiziert, denn zum Einsatz kommen hauptsächlich Diesellokomotiven, die vor allem Güterzüge ziehen. In der Schweiz sind im Vergleich dazu gut 5500 Kilometer installiert, auf denen die Züge zu fast 100 Prozent elektrisch unterwegs sind.

 

Weltrekord in Colorado

Nun soll die Eisenbahn auch in den USA umweltfreundlicher werden – zunächst im Passagierverkehr. An der Überführung der Eisenbahn in den USA in ein nachhaltiges Zeitalter ist auch eine Schweizer Firma prominent beteiligt. Der von Peter Spuhler aufgebaute Bahnhersteller Stadler mit Sitz in Bussnang TG und weltweit rund 14.000 Mitarbeiten spannt dabei zum Beispiel mit dem Bundesstaat Kalifornien, dem «Goldenen Westen», zusammen.

Weil man aber nicht einfach so ohne grossen finanziellen Aufwand das weitverzweigte Streckennetz mit Oberleitungen nachrüsten kann, wird bei der Modernisierung beim Antriebsfahrzeug angesetzt: Die beiden Parteien unterschrieben im Herbst letzten Jahres eine Vereinbarung, wonach Stadler vier wasserstoffbetriebene Züge für die California State Transportation Agency (CalSTA) und Caltrans bauen soll. Ausserdem besteht die Option, bis zu 25 weitere solcher lokal emissionsfreien Züge zu liefern. «Wasserstoff statt Diesel» lautet das Credo.

Bereits Anfang 2024 sind der Staat Kalifornien und Stadler im Rahmen dieser Vertragsoption übereingekommen, die Bestellung um sechs zusätzliche Wasserstoffzüge zu erhöhen. Das innovative Schienenfahrzeug hatte Stadler schon an internationalen Branchenmessen präsentiert. Industriepartner, Verkehrsbetriebe, Eisenbahnfans und Umweltschützer zeigten dabei grosses Interesse. Stadlers neuester Wasserstoffzug FLIRT H2 hat in umfassenden Testreihen in der Schweiz und in den USA seine Tauglichkeit eindrücklich unter Beweis gestellt, indem er seine Effizienz und Verlässlichkeit demonstrierte.

Wasserstoff-Brennstoffzellen wandeln den Wasserstoff in Strom um, der den Zug bewegt.Unter anderem diese positiven Ergebnisse bewogen die Führungen von CalSTA und Caltrans, mit Stadler zu kooperieren. Ausserdem stellte Stadler in Pueblo, Colorado, zwischen dem 20. und 22. März 2024 einen Weltrekord auf, indem ein FLIRT H2 innert 46 Stunden eine Strecke von 2803 Kilometern ohne Nachtanken zurücklegte. Diese Leistung wurde mit einem Eintrag in der Guinness-Datenbank der Rekorde honoriert.

Beim Modell FLIRT H2 handelt es sich um einen elektrischen Triebzug mit Wasserstoff-Brennstoffzellen. Diese wandeln den Wasserstoff in Strom um, der den Zug bewegt, die Antriebsbatterien auflädt und unter anderem auch die Klimaanlage mit Energie versorgt. Der Zug nutzt Elektrizität zum Fahren und Bremsen; beim Bremsvorgang wird die kinetische Energie durch Rekuperation in den Batterien gespeichert.

 

Ersatz für Dieselzüge

Der dafür nötige grüne Wasserstoff entsteht durch Elektrolyse aus Wasser. Auf diese Weise kann überschüssiger Ökostrom chemisch konserviert werden. Im Zug wird der Wasserstoff in Behältern mitgeführt. Das ermöglicht es, lange Strecken ohne Batterieaufladung zurückzulegen. Die neueste Wasserstofftechnologie von Stadler ersetzt Dieselzüge auf kurzen und mittleren Routen. Den ersten FLIRT H2 hatte man schon im Jahr 2019 in die USA verkauft.

«Stadler hat sich zum Ziel gesetzt, mit seinen Fahrzeugen und Dienstleistungen dazu beizutragen, dass das Reisen in Nordamerika umweltfreundlicher wird. Nur sehr wenige Bahnstrecken in den USA sind elektrifiziert, deshalb sind Lösungen wie der FLIRT H2 hier so wichtig», lässt sich Ansgar Brockmeyer, Divisionsleiter Verkauf und Marketing und Stellvertretender Group CEO, zitieren.

Und Martin Ritter, CEO Stadler US, ergänzt: «Unsere Entwicklung des Batterie-Brennstoffzellen-Zugs verändert die US-Schienenfahrzeugindustrie für alternative Antriebssysteme und kombiniert die typische Stadler-Spitzenqualität und Zuverlässigkeit. Wir treiben Innovationen voran, die nicht nur den Schienenverkehr, sondern das Wesen des nachhaltigen Verkehrs in Amerika verändern.» Der Auftrag aus Kalifornien sei ein Beweis für Stadlers unermüdliches Streben nach nachhaltigen, umweltfreundlichen Transportlösungen. «Wir freuen uns sehr, dass wir auf dem Weg Kaliforniens in eine sauberere, grünere Zukunft eine zentrale Rolle spielen.»

Bei Stadler ist man davon überzeugt, dass die neuen Wasserstoffzüge, die in Kalifornien eingesetzt werden, einen grossen Wandel in der Bahntechnologie bewirken und gleichzeitig die Kohlendioxidemissionen stark verringern werden. Nebst der bereits vertraglich gesicherten Lieferung von zehn Wasserstoffzügen in den «Golden State» ist Stadler mit Fahrzeugen mit Batterie- oder Wasserstoffantrieb auch in anderen US-Bundesstaaten sowie in Deutschland, Italien, Österreich und Litauen unterwegs.

Insgesamt konnten schon mehr als 150 Züge, die mit Wasserstoff oder Batterien fahren, verkauft werden. «Die Wasserstofftechnologie ermöglicht eine nachhaltige Mobilität, da sie eine umweltfreundliche Alternative zu konventionellen Antrieben darstellt. Stadler verfolgt somit aktiv das Ziel, den öffentlichen Verkehr auch in Nordamerika zu modernisieren und dabei einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten», sagt Brockmeyer.

In den USA ist Stadler auch mit batterieelektrischen Zügen als alternative Antriebslösungen für eine lokal CO2-freie Mobilität erfolgreich. Ebenfalls Anfang dieses Jahres zog das Unternehmen einen Rahmenvertrag über sechzehn Elektrozüge für den Grossraum Chicago an Land.

Die erste Bestellungstranche der Metra Metropolitan Rail (Metra) umfasst acht zweiteilige Triebzüge. Dieser Auftrag ist das Resultat der ersten kompetitiven Ausschreibung für batteriegetriebene Schienenfahrzeuge in den Vereinigten Staaten, womit Stadler seine führende Position für Schienenfahrzeuge mit alternativem Antrieb festigt. Ausserdem wird in Chicago zum ersten Mal überhaupt auf die batterieelektrische Antriebstechnik im Schienenverkehr gesetzt.

 

Elektrozüge für Chicago

Die Züge im Grossraum Chicago sollen in der Rock-Island-Line eingesetzt werden. Die zweiteiligen Triebzüge können später zu drei- oder vierteiligen Triebzügen erweitert werden. In Übereinstimmung mit der amerikanischen Richtlinie Buy America Act werden die Fahrzeuge in den USA gebaut. Die batteriebetriebenen Züge werden so konstruiert, dass sie alle Normen des Americans with Disabilities Acts (ADA) und der Federal Railroad Administration (FRA) erfüllen sowie auch wintertauglich und so für die strengen Winter in Chicago geeignet sind. Dazu gehören Ausstattungen wie eine effiziente Klimatechnik inklusive Fussbodenheizung in den Einstiegsbereichen sowie eine spezielle Isolierung und gutabgedichtete Maschinenräume zum Schutz der Antriebstechnik.

Martin Ritter, CEO von Stadler US, sagt dazu: «Unsere Battery-electric-multiple-unit-Technologie unterstützt Verkehrsbetriebe wie Metra in ihrem Bestreben, den öffentlichen Nahverkehr in den USA auf den neuesten Stand der Technik zu bringen. Wir sind begeistert, diese Züge für den Grossraum Chicago zu fertigen, und freuen uns auf die Partnerschaft mit Metra.» Schon im Jahr 2023 hatte Stadler vom kalifornischen Bahnbetreiber Caltrain den Zuschlag zur Entwicklung des ersten batterieelektrischen Doppelstock-Triebzugs für die USA erhalten.

Interview mit Ansgar Brockmeyer: zur Story

Die 3 Top-Kommentare zu "Schweizer Flirt im Goldenen Westen"
  • Daniel Hurter

    Ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass sich seinerzeit die städtische SP (nein, nicht die SVP) gegen den Bau der Zürcher S-Bahn aussprach.

  • Doc. Mathias

    Naja, bei uns hier in der Nahe von Frankfurt (RMV RB15) war der Zug in letzter Zeit so pannenanfällig, dass die Bahn jedem Kunden für zwei Monate ein kostenloses Ticket schenkt. Das bringt nur nichts, wenn die Bahn nicht fährt.

  • Forester

    Intressante News. Batterie Triebwagen wurden schon in den 20er und 30er Jahren von der DRG eingesetzt. Allerdings haben sie sich nicht als praxistauglich herausgestellt. Beim Wasserstoff ist die Energiedichte ein physikalisches Problem, das sich so nicht einfach lösen lässt. Diesel ist und bleibt noch immer die wirtschaftlichste Antriebsart. Ich zweifle am Erfolg dieses Nischen Produkt.