Dieses Interview erschien erstmals in der Weltwoche vom 5. Oktober 2017.

Nacht breitet sich aus über Los Angeles. Vom Himmel her präsentiert sich die Stadt als gigantischer Glitzerteppich, der im Osten zwischen Kakteen und braunem Fels ausfranst und im Westen in den Pazifik abfällt. In diesem funkelnden La-La-Land werden seit hundert Jahren die Träume fabriziert, die Millionen in Schauer, Lachen und Tränen versetzen. Doch es herrscht Endzeitstimmung. Die Genies der Branche flüchten sich in TV-Produktionen. Die Grossen werden grösser, die Kleinen verglühen. Mehr Tempo, mehr Effekte, mehr Action. Das Seichte obsiegt. Das Banale triumphiert. So sieht es unser Protagonist.

Oliver Stone, 71, Vietnam-Veteran, Verschwörungspoet, dreifacher Oscar-Gewinner, Gewaltdramaturg und Pazifist, hat sich in der gigantischen Ödnis des Flackerlichts als eine Art Rebell eingebunkert. Er trotzt der Industrie, der Politik und Amerikas Präsidenten. Er hat ihnen regelrecht den Krieg erklärt. Ein alternder Prometheus, der dem Volk das Feuer zurückbringt. Mit Filmen über das korrupte und kaputte Amerika und die Vor­züge missverstandener Diktatoren.

Nun sitzt der Titan an 3000 West Olympic Boulevard, Suite 2121, und wippt nervös auf seinem Stuhl. Das Büro ist auf Kühlschranktemperatur heruntergekühlt, aber Stone trieft der Schweiss von der Stirn. Er wischt ihn mit einem Bandana-Tuch, das er wie einen Waschlappen über beide Hände ausbreitet, alle paar Minuten aus dem erschöpften Gesicht. Sein Kopf ist aufgedunsen, seine Augen sind Schlitze, von welchen sich Falten in alle Richtungen ziehen – Furchen eines obsessiven Lebens. «Gibt das ein Interview über Hollywood?», fragt er. «Nein», lautet die Antwort. «Nicht nur.»

Oliver Stone, Sie kennen sich mit Autokraten aus. Reisst Kim Jong Un Amerika und die Welt in einen apokalyptischen Krieg?

Ich beobachte die Amerikaner mit einigem Misstrauen. Sie sind diejenigen, die grosse Kriegsmanöver an der nordkoreanischen Grenze durchführen. Sehr ernsthafte ­Manöver. Und das seit Jahren. Wir haben die Südkoreaner bis an die Zähne bewaffnet und jüngst auch mit Raketenabwehr ausgerüstet. Besonders die Chinesen haben sich sehr da­gegen ausgesprochen, weil sich diese in Wirklichkeit gegen sie richtet. Es ist dieselbe Raketenabwehr, die die Amerikaner in Polen und Rumänien gegen Russland aufgestellt haben. Nordkorea macht Schlagzeilen, aber hinter den Kulissen läuft noch ein anderes Spiel.

Trump und Kim drehen ungebremst an der Provokationsspirale. Wie sehen Sie dieses Duell?

Für die Presse ist das toll. Leute, die sich bestens mit Nordkorea auskennen wie Professor Bruce Cumings (ehemaliger Dekan der Historischen Fakultät der Universität Chicago, d. Red.), sagen, es habe ­immer Verhandlungen zwischen dem Norden und dem Süden gegeben. Bill Clinton habe fast einen Deal geschafft. Dann kam George W. Bush und ordnete Nordkorea der «Achse des Bösen» zu. Er machte einen klassischen Fehler. Wenn du solches Zeug sagst und Saddam Hussein und Muammar Gaddafi vom Thron stürzt, stellt sich ein Typ wie Kim natürlich die Frage: «Was mache ich? Soll ich die Atomwaffen aufgeben? Sobald ich das getan ­habe, kommen die Amerikaner und radieren mich aus.» Wenn ich Kim wäre, würde ich genauso handeln wie er.

Plant Trump, Kim zu stürzen?

Das Problem mit Trump ist, er hat ein fettes Ego und eine dünne Haut.

Haben Sie in letzter Zeit mit ihm ge­sprochen?

Ich habe ihn vor Jahren das letzte Mal ­getroffen, als ich «Wall Street: Geld schläft nicht» drehte. Er hat eine kleine Rolle ­gespielt.

Seine Szene wurde herausgeschnitten. War Trump nicht gut genug?

Er war gut. Aber der Film war bereits zu lang und ich musste kürzen.

Wie fanden Sie ihn als Person?

Ich hatte ihn bloss einen Tag auf dem Set. Zu mir war er galant. Ich bin ein bekannter Regisseur, und er wollte Publizität. Er ­hatte eine Liste mit Forderungen, wie er gefilmt werden sollte, aber er hat sie nie durchgesetzt. Er ist kein grosser Schauspieler. Er ist einfach Donald Trump. (Wischt sich den Schweiss aus dem Gesicht) Aber das Korea-Ding macht mir wirklich Sorgen. Meine Frau ist Südkoreanerin. ­Alle ihre Verwandten leben in Seoul.

Wie sehen Ihre Verwandten die Lage?

Sie sorgen sich. Ich gehe in ein paar Wochen hinüber. Ich hoffe, sie greifen nicht an, wenn ich dort bin.

200.000 Amerikaner leben in Südkorea. Für die USA steht viel auf dem Spiel.

Das beunruhigt mich an Trump. Etwas ist mit ihm. Ich bin überhaupt kein Fan von Hillary Clinton. Es war eine schreckliche Wahl. Ich habe für die dritte Partei gestimmt, für Jill Stein von den Grünen. Ich weiss nicht, was los ist mit unserem Land. Wir haben den Verstand verloren. Wir haben Amerika derart militarisiert, dass es von der Armee und dem Geheimdienst gelenkt wird. Die Militärs sind die Bosse. Sie haben Trump in die rechte Ecke gedrängt. Jetzt redet er dauernd von Krieg.

Die USA eine Militärdiktatur? Einer der engsten Vertrauten Trumps, Stephen Bannon, ist ein ausgesprochener Gegner von Militärinterventionen.

In diesem Punkt hat er recht. Man hat Bannon ja als Faschisten bezeichnet; aber bloss weil man nicht mit allem einverstanden ist, was er sagt, heisst das noch lange nicht, dass er völlig danebenliegt. Doch wo ist Bannon geblieben? Er hat das Weisse Haus verlassen. Trump hat sich mit diesen Militärköpfen umgeben. Er hat sie selbst an Bord geholt. Aber das sind keine guten Leute.

Die Leitmedien in den USA finden durchaus lobende Worte für die Generäle, allen voran die New York Times.

Die New York Times ist praktisch eine neokonservative Zeitung. Nennen wir die Dinge doch beim Namen. Die Journalisten lieben diese Militaristen um Trump herum. ­General Kelly, Trumps Stabschef, der alle abklemmt, die sich mit Trump unterhalten wollen, ist der erste Kommandant von Guantánamo gewesen. [Guantánamo wurde 2002 eröffnet. Kelly war von 2012 bis 2016 Kommandant des United States Southern Command, in dessen Bereich auch das umstrittene Haftlager auf Kuba gehört, d. Red.] Er ist schrecklich. Ein komplettes Arschloch. Ebenso wie die meisten Militaristen dort oben. Pentagon-Chef General «Mad Dog» Mattis inklusive. Sicherheitsberater General McMaster ebenfalls. Diese Typen haben in Afghanistan komplett versagt. Sie haben uns angelogen. Sie wollen immer mehr und mehr und mehr Geld. Im Senat wurden eben 700 Milliarden Dollar Rüstungsgelder für 2018 gesprochen. 500 Millionen für die Ukraine. Das ist verrückt.

Sie denken also, die Generäle haben die Macht über Trump?

Trump hat keine Macht ausser über seinen Twitter-Account.

Aber Trump hat die Generäle ja selbst an die Macht geholt. Er ist seit seiner Jugend in der Kadettenschule offenbar fasziniert vom Militär.

Das beunruhigt mich ja. Er sagt, er wolle den nächsten Krieg gewinnen. Da sind sehr ­gefährliche Dinge am Laufen. In diesem Irrenhaus ist Putin der einzige Normale. Und unsere Medien ziehen ihn ins Lächerliche. Das ist wirklich beängstigend. Das sind keine normalen Zeiten, in denen wir leben.

Sprechen wir vom Film. Auf dem Flug zu Ihnen hoffte ich, ein paar packende, neue Spielfilme zu sehen. Ich wurde enttäuscht: «The Circle» mit Tom Hanks war öde. «Ghost in the Shell» mit Scarlett Johansson eine Qual. Was ist los mit Hollywood? Wo sind die grossen Geschichtenerzähler geblieben?

Wollen Sie mich jetzt über Hollywood ausfragen?

Wir können auch über Sie sprechen. Sie gehören ja zu den talentiertesten Hollywoodregisseuren überhaupt. Seit langem drehen Sie fast ausschliesslich Dokumentarfilme.

Hören Sie zu, meine Karriere ist voller Turbulenzen. Ich hatte immer mit dem Geld zu kämpfen. Für meine Projekte war es immer schwierig, Vertreiber zu finden. Überhaupt ist es heute sehr schwierig, Spielfilme zu machen. Die Branche liegt im Sterben. Die Leute wollen nicht mehr ins Kino gehen. Sie haben all diese Geräte und schauen sich alles zu Hause oder unterwegs an. So verlierst du einen grossen Teil des Publikums.

Sie schaffen es allerdings immer wieder, Ihr Publikum zu begeistern. In Ihrem neusten Werk, «The Putin Interviews», liefern Sie faszinierende Informationen über Russlands Präsidenten – so wie man ihn noch nie gesehen hat. Wie sind Sie an ihn herangekommen?

Ich kam mit ihm in Kontakt, als ich 2014 für «Snowden» in Moskau war. Edward Snowden gab mir eine Menge Informationen. Der Film zeigte seine Sicht der Dinge. Es war sein Film. Schliesslich sagte sein Anwalt Anatoli Kutscherena: «Oliver, du solltest Putin treffen, wenn du schon hier bist.» Kurz darauf sass ich bei Putin. Das Treffen verlief sehr gut, und er willigte ein, offiziell mit mir vor die Kamera zu treten. Wir machten jeweils eine Interviewserie, dann schaute er sich das Ganze an. Schliesslich reiste ich neun Mal nach Russland und hatte zwanzig Stunden Gespräch im Kasten. Am Anfang machte ich mir Sorgen, Putin könnte zu steif oder zu langweilig rüberkommen. Natürlich würde er ganz anders sein als Castro oder Chávez, mit welchen ich Dokumentarfilme gedreht hatte; er hat nicht diesen lateinischen Hang zur Dramatik, den ich so liebe. Mister P. ist ein sehr kontrollierter Mensch.

Sie haben unglaublich viel aus Putin herausgeholt. Wie Chávez oder Castro öffnete er Ihnen die Tore der Macht. Was auffällt bei Ihren Dokumentationen über Diktatoren und Autokraten: Sie filmen oft ihre Schreibtische. Was sagen sie über den Charakter eines Leaders aus?

Nicht viel. Ich würde sogar sagen, Putins Schreibtisch ist nicht besonders individuell gestaltet.

Putin hat sogar drei Schreibtische.

Ja, in drei verschiedenen Räumen. Ich kann mir vorstellen, warum. Das Business, das er leitet, ist kompliziert. Es gibt eine nationale Seite, eine internationale et cetera. Ich meine, ich kenne den wirklichen Grund nicht, aber keines seiner Präsidentenzimmer hat mich besonders beeindruckt. Sie sind nichts im Vergleich mit den Büros von amerikanischen Firmenbossen. Wäre ich Präsident, würde ich mir einen gigantischen Kommandoraum einrichten mit einem riesigen Schreibtisch.

Wie die Kommandozentrale in Stanley Kubricks «Dr. Strangelove»?

So ähnlich.

Ein grandioser Film – und irgendwie passend zur momentanen Weltlage. Sie haben ihn gemeinsam mit Putin angeschaut. Offensichtlich hat er sich amüsiert.

Ich habe ihm den Film geschenkt.

Allerdings war er wenig erbaut über das Präsent.

Ja, ich hatte vergessen, die DVD in die ­Hülle zu stecken.

Er gab sie Ihnen zurück mit einem bitterbösen Kommentar.

Er sagte: «Ein typisch amerikanisches Geschenk.»

Grosse Fassade, kein Inhalt.

Es war keine böse Absicht, ich schwöre es. Und er hat das Ganze mit Humor genommen.

Legendär ist George W. Bushs Urteil über Putin. «Ich habe ihm in die Augen geschaut und seine Seele gespürt. Ich fand ihn ehrlich und vertrauensvoll.» Was haben Sie in Putins Seele entdeckt?

Einen sehr anständigen, sehr bescheidenen und gescheiten Mann. Er hat nie Schlechtes über andere Politiker geäussert.

Warum hat Putin Ihnen vertraut?

Ich glaube, er mochte mich, weil er mich, wie er sagte, für intelligent hielt. Und weil ich gut recherchiert hatte und er unsere TV-Dokumentation «Amerikas ungeschriebene Geschichte» gesehen hatte. Sie erklärt – beginnend im Jahr 1917 – den russischen Standpunkt. Nicht nur die Revolution und den Angriff auf die Russen, sondern auch den Bürgerkrieg, den Zweiten Weltkrieg und den Kalten Krieg. Wir betrachteten den Kalten Krieg in einem sehr neuen Rahmen. Nicht im deutschen Rahmen. Wir betrachteten ihn, als ob eigentlich die Amerikaner den Kalten Krieg begonnen hätten, weil sie ihn wollten. Denn es waren die Amerikaner, die im Grunde genommen den Kalten Krieg erklärt hatten. Stalin war es nicht. Und jetzt hören Sie mal genau zu, das ist sehr wichtig. Putin ist kein Kommunist, er hat sich klar über Stalin geäussert. Er [Putin] aber verkörpert ein neues Russland. Er sieht sich als einen Mann der Marktwirtschaft. Er versucht nicht, das alte Russland zu verteidigen. Aber er war sich bewusst, dass wir den Gefühlen der Menschen in Russland Sympathien entgegenbringen, vor allem ihren Leistungen im zweiten Weltkrieg.

Man wirft Ihnen vor, Sie seien viel zu rücksichtsvoll mit Putin umgegangen.

Wenn ich getan hätte, was die amerikanischen Interviewer wollten, hätte ich rein gar nichts erreicht. Hätte ich ihn hart angefasst – Bum, bum, bum! –, wären die Türen zugegangen. So einfach ist das. Ich wollte ihm zuhören und ihn verstehen. Abgesehen davon habe ich bei den heiklen Themen sehr wohl nachgehakt und ihn herausgefordert. Als nach der Wahl Trumps Vorwürfe kamen, Russland habe die US-Wahlen manipuliert, kehrten wir zurück nach Moskau und konfrontierten ihn damit.

Er hat rundweg abgestritten, dass Russland in den US-Wahlen interveniert habe. Hatten Sie manchmal den Eindruck, dass Putin Ihnen nicht die ganze Wahrheit sagte?

Das ist ein Thema der westlichen Medien.

In den USA gibt eine riesige Untersuchung darüber. Eine Armada von Anwälten hat sich der Sache angenommen.

Das ist McCarthyismus (antikommunistische Hetzjagd unter der Leitung von Senator Joseph McCarthy in den 1950er Jahren, d. Red.). Es ist wie im Kalten Krieg. Als ob Russland auf dem Sprung wäre, in West­europa zu invadieren. Diese Mentalität treibt absurde Blüten. Sie erinnern sich, während der Reagan-Ära hat man den ­Russen sogar vorgeworfen, sie hätten versucht, den Papst zu ermorden. Durch diesen türkischen Typen.

Ali Agca.

Man hat behauptet, er arbeite für den KGB. Ein absoluter Schwachsinn. Niemand konnte einen Beleg für diesen Vorwurf ­liefern.

Zurück in die Gegenwart. Sämtliche amerikanischen Nachrichtendienste sind der ­felsenfesten Überzeugung, Russland habe sich in die Präsidentschaftswahlen eingemischt. Glauben Sie Putin mehr als den Geheimdiensten Ihres eigenen Landes?

Die Vorwürfe sind ein durchsichtiger Angriff auf Donald Trump. Drei Dienste, CIA, NSA und FBI, haben sie im Januar in einem dünnen Gutachten abgefasst. Das Ganze war ein Witz. Der damalige CIA-Chef John Brennan fuhr eine Kampagne der Furcht und Paranoia, ohne offiziell Beweise vorzulegen. Dies während einer Machtübergabe, wenn es wichtig ist, dass wir unseren Leadern trauen können. Brennan ist ein Arschloch. Die CIA hat buchstäblich versucht, den nächsten Präsidenten in seiner Amtsausübung zu unterminieren.

Aus welchem Grund?

Eine sehr gute Frage. Die müssen Sie Obama stellen. Oder Brennan. Schauen Sie, alle glaubten, Hillary Clinton würde gewinnen. Als es anders kam, waren alle tief geschockt. Das Brennan-Papier kam vierzehn Tage vor dem Amtsantritt Trumps heraus, also noch unter Obama. Trump hatte Obama auf allen Ebenen angegriffen. Trump hat angekündigt, die Politik gegenüber Russland zu ändern. Trump hat Sinn und Organisation der Nato hinterfragt. Aber die führenden Kräfte in den USA wollen die alte Praxis fortsetzen, die lautet, dass wir Russland isolieren ­müssten. Vielleicht ist ihr ultimatives Ziel ein Regimewechsel in Russland.

Für das Verhältnis Amerikas zu Russland war es wenig hilfreich, dass Putin Snowden die Aufenthaltserlaubnis in Russland erteilt hat. Agent Snowden hat riesige ­geheime Überwachungsprojekte verraten. Könnte es sein, dass er schon länger mit den Russen kooperiert hatte?

Ich habe stundenlang mit Ed gesprochen. Ed hat nichts mit dem russischen Staat zu tun. Er ist total unabhängig.

Ist Snowden in Ihren Augen ein Held?

Snowden ist ein Held. Ebenso wie Julian Assange, der Chef von Wikileaks. Assange hat mehr Mut als irgendjemand sonst, den ich kenne. Er fordert das System frontal heraus.

Stellen Sie sich vor, Snowden wäre Russe und hätte russische Geheimnisse verraten. Was hätte Putin wohl mit ihm gemacht?

(Schweigt)

Er hätte ihn wohl in den Gulag geschickt oder umbringen lassen. Was sagte Putin denn über Snowden?

Er sei mutig und tollkühn.

Aber kein Held.

Er sagte, Snowden hätte zurücktreten müssen. Wie er es getan hat als KGB-Agent, als er 1990 mit der Politik Gorbatschows nicht einverstanden war.

Wird Snowden Russland je wieder verlassen?

Ich denke, er wird dort bleiben. Wer sonst könnte ihn beschützen? (Denkt nach) Glauben Sie, dass Donald Trump Snowden in einer Husarenaktion aus Russland raus­holen möchte?

Wer weiss? Trump liebt Siege und Erfolg.

Ein grosses Ego ist ein Problem; das Leben richtet sich nicht danach.

Während Sie fremde Herrscher mit grossem Goodwill zu verstehen versuchen, attackieren Sie amerikanische ­Präsidenten frontal. Wer war Ihrer Ansicht nach der schlimmste Mann im Weis­sen Haus?

George W. Bush. In meinem Film «W.» ­zeige ich, wie er als Schwachkopf durch die Schule gondelt und schliesslich im Oval Office landet. Er hat im Irak ein Chaos angerichtet. Er hat unser Land ruiniert. Heute wird Bush als konservativer Traditionalist akzeptiert und Trump als grösster Idiot dargestellt. Aber Trump hat diesen Titel noch nicht verdient. Er hat bisher nichts unternommen, dass sich mit W.s ­Taten vergleichen liesse.

Sie waren im selben Jahrgang wie Bush an der Spitzenuniversität Yale. Wie kamen Sie mit ihm aus?

Wir haben erst später zusammen ge­sprochen. Als er als Präsident kandidierte, wollte er mich treffen. Ich hatte nichts mit ihm am Hut. Unsere Wege haben sich früh wieder getrennt.

Sie gehörten der intellektuellen Elite Ihrer Generation an. Während Ihre Kollegen die Stufen der Macht hinaufstiegen, verliessen Sie Yale frühzeitig und gingen nach ­Vietnam.

Bush aber nicht. Er machte ein Training als Reservist und hat nicht mal das fertig­gemacht. Aber er zog später in den Krieg, wie wir alle wissen. Kein Vietnam-Veteran, der diesen Krieg durchgemacht hat, wäre im Irak einmarschiert.

Sie meldeten sich freiwillig an die Front in diesem mörderischen Krieg. Warum?

Ich wurde von meinem Vater konservativ erzogen. Er war Oberstleutnant im Stab von General Eisenhower und war 1944 an der ­Befreiung von Paris dabei gewesen. Zurück aus dem Weltkrieg, arbeitete er an der Wall Street. Also war es nur logisch, dass ich nach Yale gehen würde. So wirst du Teil des Systems.

Haben Sie sofort gemerkt, dass Sie da nicht reinpassten?

Ich war bloss achtzehn, aber ich fühlte, dass ich dort nichts verloren hatte. Meine Eltern hatten sich scheiden lassen, als ich sechzehn war. Ich hatte keine Geschwister. Ich hatte keine Vorstellung davon, was Familie bedeutet. Ich war allein und musste meinen ­eigenen Weg im Leben finden.

Wollten Sie Ihrem Vater etwas beweisen?

Ich wollte mir selbst beweisen, dass ich allein leben, dass ich überleben konnte. Ich wusste nicht, wer ich war. Auch nach Vietnam wusste ich es nicht. Als ich aus dem Krieg zurückkehrte, war ich sehr ratlos.

Zehn Tage nach Ihrer Rückkehr wurden Sie wegen Drogenschmuggels an der mexikanisch-amerikanischen Grenze verhaftet. Warum haben Sie das getan?

Ich hatte Marihuana aus Vietnam mitgebracht. Ich ging nach Mexiko, ich wollte abschalten und dröhnte mich mit Drogen zu. Bei der Rückkehr erwischten sie mich. Es war lächerlich. Viele Leute taten dasselbe.

Sie landeten im Gefängnis, es drohte Ihnen eine lange Haftstrafe.

Sie wollten mir fünf bis zwanzig Jahre wegen Schmuggels aufbrummen. Das war damals der Anfang des Drogenkrieges. Nixon war noch nicht im Amt, aber die Offensive gegen die Drogenschmuggler hatte bereits begonnen. Die Gefängnisse in San Diego, an der kalifornischen Grenze zu Mexiko, waren sinnlos überfüllt. Wir hatten keinen Platz zum Schlafen, so viele Drogenschmuggler hatten sie verhaftet.

Dank der Intervention Ihres Vaters kamen Sie frei. Die Erlebnisse im Gefängnis inspirierten Sie später zum Drehbuch von ­«Midnight Express», für das Sie Ihren ersten Oscar gewannen. Was war Ihre persönliche Erkenntnis aus der Zeit im Gefängnis?

Oh, ich begann das System noch mehr zu hassen. Ich sah, wie die Cops mit Underdogs der Gesellschaft umgehen. Ich war in der ­Armee gewesen. Ich hatte gesehen, was Bürokratie im Krieg anrichtet. Kennen Sie die Geschichten aus dem Irak? Wissen Sie, wie das amerikanische Militär dort operiert?

Ich war mehrmals mit US-Truppen im Irak und in Afghanistan unterwegs.

Alles läuft nach Buch. Die Logistik ist gigantisch. In Vietnam gab es neun Personen für jeden Soldaten an der Front. In Irak waren es noch viel mehr. Es ist ein verrücktes System. Es ist wie Las Vegas. Du importierst diese amerikanische Lächerlichkeit in ein fremdes Land. Es ist unglaublich. (Er greift vom Schreibtisch ein Buch mit dem Titel: «The Hunt for KSM») Das ist mein neues Projekt. Die Geschichte von Guantánamo.

Als Obama 2009 an die Macht kam, hat er als Erstes versprochen, das Lager in Guantánamo zu schliessen. Acht Jahre später ist das Gefängnis immer noch in Betrieb.

Das sagt viel aus über die Macht eines ­Präsidenten.

Sie nannten Obama einen «Wolf im Schafspelz».

Das war er. Er sprach milde und progressiv, und gleichzeitig haben die USA unter seiner Ägide das grösste, weltumspannende Überwachungssystem aufgezogen.

Sie haben ihm zweimal die Stimme gegeben. Bereuen Sie es?

Ja. Aber was war die Alternative? Romney war ein Idiot. Und McCain? Wen können wir wählen in diesem Land? Wo ist die Friedenspartei? Ich setzte grosse Hoffnungen in Obama. Er verlieh im richtigen Moment den Eindruck, Amerika sei ein multikulturelles Land. Das war ein grosses PR-Ereignis. Mehr nicht.

Nun also Guantánamo. Drehen Sie einen Kinofilm?

Ich mache dieses Ding fürs TV. Eine Serie von zehn Episoden. Es reicht nicht für einen Spielfilm. Für solche Themen gibt es keine Sponsoren.

Sind die Zeiten in Hollywood härter geworden? Oder sind Sie das Problem?

Ich hatte immer eine harte Zeit. Das Drehbuch für «Platoon» trug ich zehn Jahre mit mir herum, bis ich endlich den Film drehen konnte. Amerika war nicht bereit für die dunkle Seite dieses Krieges.

Dann gewannen Sie mit «Platoon» den Oscar. Hat Ihnen das Türen geöffnet?

Der Erfolg war riesig. Aber ich musste immer noch dealen und Kompromisse machen. Ich drehte drei Studiofilme, «Wall Street», «Word Trade Center» und «Savages». «Wall Street» lief gut, «World Trade Center» machte richtig Kasse. Aber sie redeten mir immer drein. Alles war ein Krampf. Trotzdem biss ich mich durch. Ich wollte Erfolg haben. Ich wollte Geld machen. Ich bin kein Märtyrer. Und wenn schon Studiofilme, dann sollten sie packende Unterhaltung sein. Mit «Savages» ist mir das gut gelungen. Aber es sind die unabhängigen Filme, die mir am meisten Freude machen. «W.» war sehr wichtig für mich. Aber damit verdiene ich kein Geld. «Amerikas ungeschriebene Geschichte», eine zwölfstündige Fernseh-Doku, für die ich fünf Jahre geschuftet hatte, brachte mir keinen Dollar ein.

Was treibt Sie an? Ein Missionsgedanke?

Leidenschaft. Jemand muss die dunklen Seiten Amerikas aufzeigen, sich dem Nachrichtenfluss, der Tyrannei des Jetzt, widersetzen und die Heroisierung unserer Geschichte entlarven. Aber dafür findest du keinen Geldgeber, keinen Vertrieb. «Snowden» wurde von jedem Studio abgelehnt. Schliesslich konnten wir den Film mit deutscher und französischer Hilfe ­finanzieren. Heute machen sie in Hollywood Produktionen mit grossen Budgets, es müssen realitätsferne Action- oder Fantasy-Filme sein. Projekte wie meine haben da keinen Platz mehr. Meine Zeit ist abgelaufen. ... Wie alt sind Sie? 50? 51?

51. Wie kommen Sie darauf?

Ich bin gut im Einschätzen des Alters. Ich mag Sie, aber fragen Sie mich nicht danach, wie stupid das amerikanische Militär ist. Es ist unmöglich, das zu beschreiben.

Okay, gehen wir zu etwas Leichterem über. Ich stelle Ihnen ein paar persönliche Fragen, Sie antworten kurz und direkt.

Einverstanden.

Welches war der beste Drogen-Flash, den Sie je hatten?

Drogen? Wahrscheinlich LSD und Ayahuasca (ein psychedelisch wirkender Sud aus Heilpflanzen des Amazonas-Gebiets, d. Red.).

Welches ist heute Ihre Lieblingsdroge?

Ich rauche Marihuana. Sonst konsumiere ich nicht viel.

Welches war Ihr fantastischstes Sexerlebnis?

Mein fantastischstes Sex…? Sie sind doch Schweizer, wie können Sie mich so etwas ­fragen?

Larry King stellte ich dieselbe Frage, und er hat mir geantwortet.

Was hat er gesagt?

Er sagte, er habe keinen Sex mehr, krankheitsbedingt. Und irgendwie finde er es ­beruhigend, als ob ein Druck von ihm ab­gefallen wäre.

Na gut. In einem Bordell in Hamburg. Mit einer wunderbaren Lady. Jetzt wissen Sie’s.

Welches ist die grösste Liebe im Leben von Oliver Stone?

Ich liebe meine Mutter sehr. Ich stehe ihr sehr nahe. Abgesehen von meiner Mutter liebe ich meine Frau Sun-jung Jung. Wir sind seit 22 Jahren verheiratet. Sie ist aussergewöhnlich. Koreanerinnen sind aussergewöhnlich. Eine Bessere als Jung gibt es nicht. Ich fühle mich gut mit ihr. Wohl. Sie rückt mir nicht dauernd auf die Pelle und lässt mich in Ruhe. Jung ist meine dritte Frau.

Ihre grösste Liebe sind Frauen. In Ihren ­Filmen hingegen dominieren Männer. Machtgetriebene, rücksichtslose und gebrochene Typen. Finden Sie keine Frau, die faszinierend genug wäre, um ihr einen Film zu widmen?

«Heaven & Earth», einer meiner besten Filme, dreht sich um eine Frau. Und natürlich «Evita». Ich habe das Drehbuch geschrieben, ein grossartiges Stück. Eigentlich wollte ich «Evita» auch drehen, aber dann führte Alan Parker Regie. Er nahm mein Drehbuch und hat es völlig versaut. Auch Angelina Jolie in «Alexander» war eine sehr starke Frau, sehr ähnlich wie meine Mutter. Aber im Grunde haben Sie recht. Frauen kommen nicht gross vor in meinen Filmen. Männergeschichten finde ich viel faszinierender.

Ihre Mutter ist Französin, sie lernte Ihren Vater während des Krieges kennen. Wie kommen Sie zurecht mit der französischen Mentalität?

Ich kam früh mit ihr in Kontakt, zwangsläufig. Bereits als kleiner Junge nahm mich meine Mutter jeden Sommer mit nach Europa. Kaum angekommen, übergab sie mich ihrer französischen Familie, während sie sich in Südfrankreich mit Liebhabern vergnügte. Ihr Vater hatte im Ersten Weltkrieg gekämpft, und ich spielte mit den Franzosenkindern auf den Schlachtfeldern von damals, in den Argonnen. Da und dort fanden wir deutsche Helme und Uniformteile. Das war ein anderes Frankreich damals, ein unabhängiges Frankreich. De Gaulle war für mich der ultimative französische Held. Er sagte den Amerikanern: «Fuck you!» Und er zog Frankreich aus der Nato ab. Ein sehr gescheiter Zug. Dann aber zogen die Amerikaner die Franzosen wieder rein. Als Nato-Mitglied bist du Teil einer Nuklearmacht, ohne dass du zu deren Einsatz was zu sagen hast. Alle Europäer haben ihre Souveränität an die Nato abgetreten, ausser die Schweizer. Aber ihr habt es auch verkackt.

Wo denn?

Ihr habt das Bankgeheimnis aufgegeben. Das war ein grosser Fehler. Als der Bank­skandal losging, hättet ihr den Amerikanern sagen sollen: «Verpisst euch!»

Sie meinen, wir hätten das Bankgeheimnis behalten sollen?

Ja, absolut. Ihr müsst euer Bankensystem haben können.

Man warf den Schweizer Banken vor, sie würden mit Diktatoren und Dieben Geschäfte machen.

Nein, im Gegenteil. Es geht um etwas anderes. Die Amerikaner können Sanktionen gegen Russland erheben und eure Banken zwingen, diese Sanktionen zu befolgen. Das ist falsch. Wenn ihr Handelsabkommen mit Russland abschliesst, müsst ihr sie einhalten. Sie haben euch in die Knie gezwungen. Das ist nicht richtig. Wer immer in der Schweizer Regierung war zu jener Zeit, hat einen gewaltigen Fehler gemacht. Niemand in Europa hat den Mut, gegen die Amerikaner aufzustehen. Niemand. Das ist meine grosse Botschaft.

 

 

Oliver Stone, 71, ist eine einzigartige Mischung aus ­Hollywood-Genie und ungezähmtem Politrebell. Er drehte grandiose Kassenerfolge («Wall Street», ­«Platoon», «JFK», «Natural Born Killers», «Any Given Sunday»), schrieb brillante Drehbücher («Scarface», «Midnight Express») und verfilmte epische, von der ­Kritik verrissene, Stoffe («Alexander»). Dass er sich ­während der US-Wahlen gegen Hillary Clinton wandte – also nicht ausdrücklich gegen Donald Trump war –, löste im politisch linken Lager, dem auch Stone ­angehört, ­einiges Kopfschütteln aus. Neben der Faszination für mächtige Figuren («Nixon», «Comandante») zieht sich ein autobiografisches Motiv – Stone kämpfte im ­Vietnamkrieg – wie ein roter ­Faden durch sein Hauptwerk: jenes des vom Staat ­enttäuschten amerikanischen Patrioten, der sich ­schliesslich gegen die Regierung wendet. Dies kam ­zuletzt auch in «Snowden» (2016) wieder zum Ausdruck. Aus der Schweiz erhielt der dreifache Oscarpreisträger auch schon Unterstützung: Seine Bush-Biografie «W.» (2008) wurde von der Firma ­Millbrook Pictures, die ­Zurich-Film-Festival-Gründer Karl Spoerri und ­Unternehmer Thomas Sterchi gehörte, mitfinanziert. (bb)

Die 3 Top-Kommentare zu "«Der einzig Normale in diesem Irrenhaus»"
  • Mad Maxl

    " Putin ist der einzige Normale in diesen Irrenhaus " ? Ja, stimme zu ! Aber "leider" kontrollieren diese Irren einen Großteil der Medien ! Siehe z.B. Deutschland, da betreiben angebliche Journalisten "Gehirnwäsche" am Volk. Dort ist auch zurecht das Wort "Lügenpresse" entstanden.

  • Ratio

    Nur gesunde Fische schwimmen gegen den Strom. Müll und Aas mit ihm...

  • huskytuller67

    Absolutely ... 🥹 🥺 🥹