Bei diesem Text handelt es sich um eine Zusammenfassung des Gesprächs zwischen dem US-Juristen Andrew Napolitano und dem Geostrategen Professor John J. Mearsheimer. Das Interview wurde auf dem Youtube-Kanal von Judge Napolitano ausgestrahlt und behandelt als Themen die Kriege in Israel und der Ukraine.

Frage 1:

Andrew Napolitano: Warum ist dem israelischen Militär und auch dem israelischen Geheimdienst diese Sicherheitsschlappe unterlaufen?

  • Meiner Meinung nach haben die Israelis erwartet, dass sie in naher Zukunft angegriffen werden würden.
  • Die Tatsache, dass sie angegriffen wurden, ist keine grosse Überraschung.
  • Sie wurden in den letzten zwei Jahrzehnten mehrmals angegriffen.
  • Das Ausmass des Angriffs war jedoch eine Überraschung – eine Operation dieser Grössenordnung mit so vielen Opfern und einem solchen Zerstörungspotenzial.
  • Israel war unvorbereitet auf das Ausmass des Angriffes.

Frage 2:

Andrew Napolitano: Kann Netanjahu vor dem Hintergrund der mangelnden Vorbereitung als Premierminister überleben?

  • Es gibt eine Analogie zum Jom-Kippur-Krieg von 1973 und Golda Meir.
  • Israel wurde auch 1973 überrascht.
  • Golda Meir überlebte kurzfristig (Rallye-um-die-Flagge-Effekt); in solch ausserordentlichen Situationen steht zunächst die Einheit des Volkes im Vordergrund.
  • Wenn sich die Situation beruhigt, wird es Schuldzuweisungen geben.
  • Netanjahu wird wahrscheinlich nicht überleben.

Frage 3:

Andrew Napolitano: Man munkelt, es gebe zwei Gründe für das Versagen auf israelischer Seite: Arroganz, die Annahme, stärker, klüger und reicher zu sein. Oder auch ein neues Phänomen: das Verlassen auf künstliche Intelligenz anstelle von menschlicher Intelligenz.

  • Es gibt sicherlich etwas Arroganz, aber der entscheidende Punkt ist die falsche Vorstellung oder Ahnung davon, was geschehen könnte.
  • Sie hatten die falsche Vorstellung davon, was ihnen die Palästinenser aus dem Gazastreifen antun könnten.
  • Sie haben übersehen, dass die Hamas-Attentäter eine clevere Strategie hatten, die sie nicht voraussehen und daher nicht kontern konnten.
  • Das gleiche Problem wie 1973.

Frage 4:

Andrew Napolitano: Wie ist die Hamas entstanden?

  • Ursprünglich gab es zuerst die Muslimbruderschaft in Israel.
  • Nach der ersten Intifada in den späten 80er Jahren begann diese sich zu radikalisieren.
  • Die Hamas entstand und wurde immer stärker. Im Laufe der Zeit «mochten» die Israelis, die gegen die Zwei-Staaten-Lösung waren (wie Netanjahu), die Hamas, weil sie ebenfalls keine Zwei-Staaten-Lösung wollte.
  • Sie arbeiteten mit der Hamas zusammen, um die Palästinensische Autonomiebehörde zu untergraben, weil diese an einer Zwei-Staaten-Lösung interessiert war.

Frage 5:

Andrew Napolitano: Gibt es zwischen den Gegnern der Zwei-Staaten-Lösung in einem bestimmten Rahmen nur gegenseitige intellektuelle oder sogar auch finanzielle Unterstützung?

  • Nein, das gibt es nicht. Es gibt aber finanzielle Unterstützung von aussen, insbesondere aus dem Iran.

Frage 6:

Andrew Napolitano: Wie ist die Beziehung zwischen der Hamas und der PLO unter der Leitung von Machmud Abbas?

  • Schrecklich.
  • Machmud Abbas ist an einer Zwei-Staaten-Lösung interessiert.
  • Seit 2006 sind die Hamas und die PLO zerstritten.
  • Dieses Ereignis hat sie nun dazu gezwungen, sich zusammenzuraufen und Einheit unter den Palästinensern zu zeigen, so, wie es bei den Israelis der Fall ist.

Frage 7:

Andrew Napolitano: Können wir sagen, dass die Hamas nicht die Regierung im Gazastreifen ist? Die PLO ist es. Aber die Hamas ist ein Teil der Gesellschaft im Gazastreifen, den die Palästinensische Autonomiebehörde nicht kontrollieren kann?

  • Es ist ziemlich klar, dass die Hamas den Gazastreifen kontrolliert.
  • Sie regiert den Gazastreifen, während die PLO das Westjordanland kontrolliert.
  • Die letzte Wahl fand 2006 statt. Die Israelis warnten vor dieser Wahl, weil sie dachten, die Hamas könne gewinnen, aber die Amerikaner hörten nicht auf die Israelis und ordneten die Wahlen an. Die Hamas gewann.
  • Daraufhin untergruben die USA die Ergebnisse der Wahl und installierten Abbas im Westjordanland, konnten dies jedoch nicht im Gazastreifen tun.

Frage 8:

Andrew Napolitano: Die ägyptischen Geheimdienste sollen Israel angeblich vor dem Angriff gewarnt und Informationen geteilt haben. Mike McCaul, Vorsitzender des Aussenausschusses des Repräsentantenhauses, sagt, dass die Ägypter Israel gewarnt haben. Haben die Israelis das ignoriert?

  • Es kommt darauf an, was die Ägypter den Israelis gesagt haben.
  • Haben sie ihnen gesagt, wann der Angriff stattfinden würde?
  • Haben sie ihnen das Ausmass und die Tragweite der Operation mitgeteilt?
  • Ich denke, sie haben das nicht gesagt und auch nicht gewusst.
  • Die Ägypter haben das Ausmass des Angriffes auch nicht erwartet.
  • Wenn sie es gesagt hätten, hätten die Israelis darauf geachtet.
  • Nur die Information, dass die Hamas angreifen würde, wäre nicht so wichtig gewesen.
  • Die Israelis hätten dann nur ein paar Raketen erwartet und gedacht, dass sie damit umgehen könnten.

Frage 9:

Andrew Napolitano: Meinung zur Analyse des russischen Präsidenten Wladimir Putin uns seiner Kritik an der US-Aussenpolitik im Nahen Osten. Er sieht das Scheitern der US-Politik im Nahen Osten. Die Amerikaner haben gemäss Putin versucht, die Lösung des Konflikts zu monopolisieren. Sie haben sich jedoch nicht darum gekümmert, Kompromisse zu finden, die für beide Seiten akzeptabel sind. Im Gegenteil, sie drängten ihnen ihre eigene Vorstellung davon auf, wie es gemacht werden sollte. Sie übten Druck auf beide Seiten aus, ohne die Interessen des palästinensischen Volkes und die UN-Sicherheitsrats-Entscheidung zur Schaffung eines unabhängigen souveränen palästinensischen Staates zu berücksichtigen. Hat Putin recht?

  • Ja, viele Amerikaner und Israelis sagen schon lange: Die einzige Lösung aus diesem Dilemma ist die Zwei-Staaten-Lösung.
  • Die USA waren theoretisch lange an einer Zwei-Staaten-Lösung interessiert (Carter, Bush, Obama) und verstanden deren Bedeutung, waren jedoch nicht bereit, genügend starken Druck auf die israelische Führung auszuüben, hauptsächlich aufgrund der inländischen Politik (pro-israelische Kräfte, starke Lobby, grosses Stimmenpotenzial).
  • Es wäre sowohl für die USA wie auch für Israel gut und notwendig gewesen, sich für eine Zwei-Staaten-Lösung einzusetzen.

Frage 10:

Andrew Napolitano: Wie wird dieser Konflikt enden?

  • Vieles hängt davon ab, ob die Israelis mit Bodentruppen in den Gazastreifen gehen, um die Hamas zu vernichten.
  • Die Israelis haben wahrscheinlich erkannt, dass dies keine kluge Idee ist.
  • Die Hamas wird weiteren Ärger verursachen, und wenn sie die Hamas auslöschen, bekommen sie nur eine neue radikalisierte Gruppe. Es handelt sich um ein politisches Problem. Aber sie sind verdammt, wenn sie es tun und wenn sie es nicht tun.
  • Wenn sie nicht eindringen, wird die Hamas weiterhin kämpfen und Probleme verursachen.
  • Wenn sie es nicht tun, müssen sie den Gazastreifen bombardieren, was eine Katastrophe ist – wenn man sieht, wie Zivilisten sterben. Es löst das Problem nicht, es erzürnt die Menschen in Palästina und der arabischen Welt, und über lange Strecken könnten sie dadurch auch die Unterstützung des Westens verlieren.
  • Die Lösung für all dies wäre ein Zwei-Staaten-Modell.

Frage 11:

Andrew Napolitano: Was würden Sie Bibi Netanjahu sagen, wenn er Sie anrufen würde?

  • Ich würde ihm raten, von den Bombardierungen abzusehen und nicht in den Gazastreifen einzudringen. Dann würde ich ihm sagen, er solle einen Rückwärtsgang einlegen und sich auf eine Zwei-Staaten-Lösung zubewegen. Aber er wird das nie akzeptieren. Er hat eine Regierungskoalition mit Menschen, die weiter rechts und anti-palästinensischer sind als er. Die Politik in Israel ermöglicht eine Zwei-Staaten-Lösung nicht mehr.

Ukraine:

Frage 1:

Andrew Napolitano: Ist die Ukraine erledigt?

  • John Kirby, Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der Vereinigten Staaten, sagte, dass wir die Ukraine langfristig nicht mehr finanzieren würden, «wir sind am Ende des Seils angelangt» - das bedeutet im Grunde genommen, dass die USA mit der Ukraine fertig sind.
  • Wenn wir den Stecker ziehen, sind sie verloren, sie haben keine Waffen und finanziellen Ressourcen mehr, die Russen werden über sie hinwegrollen.
  • Wir lassen die Ukrainer bereits im Stich, obwohl wir gesagt haben, dass wir sie so lange unterstützen würden, wie es nötig sei.
  • Wir haben das Land in den Krieg getrieben, wollten die Ukraine zu einer westlichen Bastion gegen Russland machen, haben Gegenoffensiven gefördert und sie gezwungen, Woche für Woche anzugreifen, und jetzt ziehen wir den Stecker.

Frage 2:

Andrew Napolitano: Wie sehen Sie das Endspiel, wenn wir die Hilfe für die Ukraine aussetzen?

  • Es ist schwer zu sagen, was für die Ukrainer in diesem Stadium die beste Politik ist.
  • Man könnte argumentieren, dass sie besser dran wären, jetzt in Verhandlungen zu gehen und die Verbindungen zum Westen abzubrechen, bevor der Westen die Finanzierung einstellt – sie werden wahrscheinlich trotzdem keinen guten Deal bekommen, aber zumindest müssten sie nicht weiterkämpfen.

Zusammengestellt: Mihajlo Mrakic.

Die 3 Top-Kommentare zu "«Die Lösung wäre ein Zwei-Staaten-Modell»: Professor John J. Mearsheimer über Israel, Gaza und die Ukraine, die von den Amerikanern im Stich gelassen wird"
  • beograd

    Die Ukraine war ein groses Projekt Amerikas, um der NATO an die Grenzen Russlands und ein paar Kilometer von Moskau entfernt zu posten. Ziel war es auch, NATO-Stützpunkte auf der Krim zu errichten. Es ist klar, dass die Russen dies verhindert und die Illusionen des Westens zerstört haben. Daher ist die Ukraine nicht mehr profitabel. Niemand im Westen hat sich jemals dafür interessiert, wie viele Menschen dort für die West-Geospiele sterben würden. Sie zahlen das Geld und kaufen Blut.

  • beograd

    Nach Vietnam und Afghanistan will der Westen seine toten Soldaten nicht sehen. Deshalb gibt es Proxy Wars. Die Ukrainer haben zwei Armeen verloren, und verlieren nun die dritte und letzte im Kampf um den Durchbruch der russischen Verteidigung, während Russland eine Offensive vorbereitet. Selenskyj glaubte rücksichtslos, dass der Westen die Ukraine bis zum Ende verteidigen würde, aber als Ergebnis bekam er nur einen „Leichenhügel“ und die Möglichkeit, den Zugang zum Schwarzen Meer zu verlieren.

  • Barbara Peter

    Ich schliesse mich dem Dank an! Super Zusammenfassung, auch für alle, die das Ganze nicht so durchschauen.